„Ich dachte, ich entdecke einen Fisch und der heißt dann so wie ich.“
Fast hätte Marcel den Termin wieder abgesagt, sagt er und lächelt uns verschmitzt aufgeregt an. Doch dann wollte er mutig sein. Außerdem wäre es ja unhöflich gewesen, uns abzusagen, findet er. Unhöflich möchte er nicht sein. Ist er ja auch nicht. Wir selbst dagegen sind etwas zu spät. Hups. Zum Glück hat er uns – trotzdem er es gerne pünktlich hat, wie wir später erfahren werden – noch in seine schöne Altbau-Wohnung gelassen.
Marcel freut sich. Er habe gerade eine Zusage für einen neuen Job bekommen, erzählt er. Und seine große Freude darüber merkt man ihm die ganze Zeit an. Er kann gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Das ist gut. Auch für diesen Termin heute. Wir freuen uns mit ihm. Marcel stammt aus der Verbandsgemeinde Rülzheim. Kennt eh keiner, sagt er. Macht ja nichts. Rülzheim liegt im schönen Rheinland-Pfalz.
Seit Oktober letzten Jahres wohnt er in einer Dreier-WG direkt am S-Bahnhof Neukölln. Dort braucht er sich jedenfalls keine Sorgen zu machen, dass er auf ihn anekelnde, glitschige Schnecken oder gar gruselige behaarte Schmetterlinge stößt. Brrrghh. Die viel befahrene Straße und dort nicht vorhandene Fauna verhindern dies wohl.
Der kleine Marcel Urs (so sein zweiter Vorname) wollte als Kind nicht etwa Feuerwehrmann oder Astronaut werden, sondern entweder Meeresbiologie oder Lehrer. Wobei Meeresbiologe zu werden, um eine von ihm selbst persönlich neu entdeckte Fischart seinen Namen zu geben, natürlich viel spannender und vor allem sinnvoller klingt als der Lehrerwerdenwunsch. Ein Fisch namens Marcel (Urs) halt. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen gegenüber seinem Goldfisch, der bei ihm leider nicht lange überlebt hat. Womöglich durch sein in der Jugend erlerntes Trompetenspiel. Oder aber der arme Goldfisch erschrak über seine in der Pubertät missglückte Blonde-Strähnchen-Frisur. Eijeijei. Fragen können wir den Fisch ja nicht mehr.
Im zarten Alter von 16 fand Marcel das Feiern lustiger und cooler als Schule und beschloss, diese dann erst einmal abzubrechen. Zum Glück war er gerade auf Klassenfahrt, als seine Mutter diese Mitteilung von der Schule bekam. Der Plan war dann, erst einmal eine Ausbildung im Einzelhandel zu machen. Und zwar im beschaulichen Schwarzwald. Da auch ein Marcel im Alter vernünftiger wurde und seine Schul- und Berufslaufbahn überdacht hat und mehr wollte, begann er danach ein Studium im Modemanagement und machte nebenbei noch brav sein Abi nach. Feini. Eigentlich wollte er danach nach Düsseldorf. Genommen hat ihn dann aber das von ihm bis dato noch nie besuchte (Waaasss?) Berlin. Sehr gut, wie wir finden. Schön, dass Du da bist, Marcel.
Gerade noch arbeitete er bei Zalando Lounge (Betonung bitte auf Lounge!), aber jetzt steht mit der neuen Jobzusage eine steile Karriere als Projektmanager bei einem Verlag im Marketing- und Vertriebbereich an. Freu, freu! Marcel ist ein echt sympathischer, lustiger Typ. Es macht Spaß, mit ihm zu quatschen. Er mag zwar nicht so gern über sich reden, die Antworten auf meine Fragen, sprudeln dann aber doch dann nur so aus ihm heraus. Läuft.
Nägel in die Wand schlagen ist nicht so seins. Dafür kann er aber gut kochen und hat im Rahmen eines mit Freunden durchgeführten „Perfekten Dinners“ handgemachte Gnocchi mit selbst hergestelltem Pesto kredenzt. Er zeigt uns Fotos von seinem 3-Gänge-Menü. Mmmmhhhh, lecker … (Ich hab Hunger!) Damit hat er bei dieser privaten Veranstaltung sogar Platz 3 belegt. Gratulation. Da ist noch Luft nach oben und einer Wiederholung steht nichts im Weg – aber bitte ohne Fleisch. Das mag er nicht so gern.
Während er in der Küche werkelt und für Freunde kocht, läuft nebenbei gern über YouTube Die Nanny. Ja, was muss, das muss, oder? Wenigstens konnte er seine in der frühen Kindheit entdeckten Neurosen, wie zehnmal nachschauen, ob der Herd aus ist, ablegen. Vielleicht hat Die Nanny ja dabei geholfen.
Wir verlieren uns etwas im Gespräch über Netflix. Marcel ist ein Netflixjunkie und empfiehlt mir sogleich Orange is the new Black und ein paar weitere gute Serien wie z.B. Fargo. Auf dem Tisch neben seinem Bett entdecke ich Jane Austins Stolz und Vorurteil. Muss man mal gelesen, wie er findet. Finde ich auch. Ansonsten ist der vierfache Onkel Feuer und Flamme für Harry Potter. Den mag ja wohl jeder, grinst er.
Im Lichtspielhaus findet man Marcel bei allen Filmen von Quentin Tarantino. Filme von Lars von Trier findet er auch knorke. Konzertmäßig ist er eher in kleinen Clubs zu finden, gern zusammen mit Kraftklub oder Jennifer Rostock. Frau Adele in der großen Mercedes-Benz-Arena ist ihm dann doch etwas zu unpersönlich.
In seinem Zimmer sticht sofort die Skulptur aus Zalando-Kartons (natürlich) und anderen Schuhkartons ins Auge. Ein bisschen Individualität im Zimmer muss sein. Mir juckt es in den Fingern, jengamäßig einen Karton zu entfernen. Lasse es aber natürlich. Marcel muss lange daran gebaut haben.
Im Bett mit Fotografin Pat erzählt er, dass er Clowns und Masken gruselig findet. Damit findet er bei uns große Zustimmung. Er hat einen großartigen schwarzen, ironischen Humor, den vielleicht nicht jeder versteht, sein zukünftiger Partner sollte diesen aber bitte mögen – Humor ist ihm super wichtig. Der Neue an seiner Seite darf auch ruhig ein bisschen Wert auf Pünktlichkeit legen. Aber Marcel drückt auch mal ein Auge zu, oder zwei.
Ausgehen mag er gerne in Kreuzberg oder in Mitte, er bevorzugt Abhängen in Bars mit Kollegen und Freunden. Jemand für etwas Festes kennenlernen ist dort aber nicht so richtig möglich, meint er. Hat bisher jedenfalls noch nicht so geklappt.
Wir wechseln die Location und schlendern über die Karl-Marx-Straße zum Körnerpark. Dort bei Tee und selbstgemachter Limonade und Regen, führen wir unser Gespräch weiter. Er will glücklich werden in Berlin. Noch glücklicher, weil gerade freut er sich wieder über seine Jobzusage. Sein Wunsch, mal Urlaub in Australien oder in Skandinavien zu machen, um die Polarlichter zu sehen, muss er damit natürlich noch etwas hinten anstellen. Aber das macht ja nichts. Vielleicht klappt das ja sogar mit einer neuen Flamme.
Wenn Du da wohnst, wo es ruhig und/oder dunkel ist und dem Marcel einen Schlafplatz anbieten kannst, damit er endlich mal wieder richtig ausschlafen kann (sein Schlafzimmer liegt zwischen Hauptstraße und S-Bahngleisen), wenn Du selbstgebaute Skulpturen aus Pappkartons magst und schwarzen Humor richtig gut findest, dann schreib, schreib, schreib.
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