Goodbye Fernweh – über dieses Wörtchen „Heimat“

„Ich könnte mir niiiiieeemals vorstellen, wieder in mein Heimatdorf zurückzukehren“, höre ich mich schrecklich überheblich sagen, sobald ich gefragt werde, wer ich eigentlich bin und was ich hier mache. Gedanklich setze ich dann einen neuen Strich auf der mittlerweile ziemlich langen Liste des Selbstbelügens, wende den Blick ab und konzentriere mich lieber wieder auf das Gläschen Weißwein in meiner Hand.

Memo an mich selbst: Wer Menschen fragt, wer sie sind, wird schnell erfahren, woher sie kommen. Als wäre das die Markierung im Ohr, die einem sagt, mit wem man es zu tun hat. Als wäre der Herkunftsort durch einen festen Seemannsknoten unwiderruflich mit dem Charakter eines Menschen verbunden.

Aber wie ist das, wenn man weggeht, mit Pauken und Trompeten alle Zelte abbricht, die Langzeitbeziehung mit der Heimat einfach so quittiert?

Ich habe mein Leben getauscht, hab’s geschüttelt wie in einem Cocktail-Shaker, um den bestmöglichen Geschmack zu mixen. Trotzdem fehlt ein Teil. Das bunte Schirmchen, die Gurke, der Gin: Egal wie wir es nennen, es steckt fest – in der Heimat.

Ich dachte mir: Geil, ich kann alles sein – und am besten jeden Tag neu.

Ich dachte mir: Geil, ich kann alles sein – und am besten jeden Tag neu. Hipster, Hartzer oder Schnösel? Einmal alles zum Mitnehmen bitte, Einweg-Persönlichkeiten zum Überziehen. Und dann wurde ich müde. Müde vom jeden Tag Anderssein, vom Suchen nach Persönlichkeit und vom nie etwas Passendes finden.

Gar nicht so easy, man selbst zu sein ohne sicheren Hafen. Ohne Familie, ohne beste Freundin, ohne Sandkastenfreunde ums Eck. Die Erfahrung ist wichtig und bringt einen weiter, aber ein Teilchen Mensch – und sei es noch so klein – wird ab jetzt fehlen. Es wird anders sein, egal ob 50, 500 oder nur fünf Kilometer von Zuhause entfernt. Ich verpasse Familienfeiern, verlasse Freunde und verliere den Anschluss – Weggehen aus freien Stücken ist nämlich auch immer eine kleine Egonummer, die nicht jeder versteht.

Trotzdem tippe ich wie selbstverständlich #Fernweh unter meinen Instagram-Post, einem Strandfoto vom letzten Karibik-Urlaub. Damit lenke ich mich ab. Von Steuern, Haftpflichtversicherungen und der GEZ-Rechnung. Türkisblaues Wasser sieht nämlich deutlich besser aus als Zahlungsaufforderungen aus der hemmungslos überteuerten Großstadt-Wohnung.

Dass ich nach diesem Urlaub drei Monate lang pleite war und jetzt viel lieber #Heimweh tippen würde, sage ich natürlich niemandem. Dass ich mich nach einem Liegestuhl in einer Welt ohne Steuererklärungen, dafür mit Kaffee und Kuchen mit meiner Mama sehne, erfährt auch keiner.

Diese „Eat, Pray, Love“-Erleuchtung kommt dann doch nicht direkt nach dem ersten Langstreckenflug.

Diese riesige Travel-/Fernweh-/Wanderlust-Blase ist ziemlich überstrapaziert. Warum? Weil gerade nichts moderner ist, als sich durch Superlativ-Reisen zu definieren. Die Welt sehen? Ja, bitte! Umziehen? Auch gut. Aber diese „Eat, Pray, Love“-Erleuchtung kommt dann doch nicht direkt nach dem ersten Langstreckenflug. Jeder Ort auf der Welt ist nur so gut zu dir wie du selbst. Mit grunzenden Schweinchen am Traumstrand auf den Bahamas zu schwimmen ist bestimmt toll, wird meine Identität aber nie so prägen wie diese sogenannte Heimat.

Warum also immer Fernweh statt Heimweh? Warum zu Selbstfindungszwecken immer wegrennen, anstatt mal kurz über die Schulter zurück zu schauen? Viel mehr von mir steckt im Gestern als im Morgen. Und wenn es nur die komische Angewohnheit ist, die Zeitung am Frühstückstisch von hinten zu lesen. Ich weiß, wohin ich will, seit ich darüber nachdenke, woher ich komme.

Eigentlich ist Heimweh gar nicht so schlecht. Eigentlich zeigt es, dass in diesem Zuhause sehr Vieles sehr richtig gelaufen ist. Besser ein Leben mit Hafen, der weit entfernt scheint, als ein Leben ohne Hafen und mit Leck im Schiffsbug.

Falls mich mal wieder jemand fragt, wer ich eigentlich bin und was ich hier mache, erzähle ich vielleicht von der Alters-WG, die ich plane. Mit meinen engsten Freunden in meinem Heimatdorf. Dorthin will ich nämlich ganz sicher zurückkehren. Mit 70 oder so.

Headerfoto: Mädchen in der Natur via Shutterstock.com. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

ELISABETH grübelt was das Zeug hält – manchmal sogar, bis kein Zeug mehr da ist. Sie findet, dass Fragen meistens die besseren Antworten sind, kommt aus einer wundervollen Ösi-Provinz und arbeitet eigentlich für ein Frauenmagazin. Nebenbei verbringt sie sehr viel Zeit damit, Avocados fotogen aus ihren Schalen zu lösen, samstags bis sieben Uhr morgens irgendwo zu tanzen und dann verloren zu gehen oder sich von ihren Freunden bekochen zu lassen. Kochen, das funktioniert nämlich nicht so gut wie grübeln.

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