Schietwedder – Reiner Tisch und reine Weste | Teil 4

Dies ist der letzte Teil einer vierteiligen Geschichte. Teil 1 findest du hier. Teil 2 findest du hier. Teil 3 findest du hier.

09.30 Uhr. Sein Wecker klingelt. Er greift nach dem Handy, um den grellen Alarmton zu beenden. Papier knistert unter seiner Decke. Ein Briefumschlag, der weder Adresse noch Absender braucht. Er setzt sich auf, reibt sich die Müdigkeit aus dem Gesicht und liest:

„Hallo Du,

ich kann gerade selbst nicht ganz fassen, was für ein Arschloch ich bin. Nie und nimmer hätte ich mich jemals in der Situation gewähnt, eines Tages so feige zu sein, einem geliebten Menschen einen Brief als Abschied zu hinterlassen. Natürlich ersetzen diese Zeilen nicht eine persönliche Erklärung Auge in Auge.

Sie sind mein stilles Resümee, mein Versuch, mich selbst zur Vernunft zu überreden. Sie wollen eine Versicherung sein, nichts zu vergessen, was ich und du noch wissen sollten. Inventur. Bilanz. Neukalkulation. Ob Dich diese Worte einmal erreichen werden, vermag ich jetzt noch nicht zu sagen. Liest Du diesen Brief, bin ich zu einem guten Ende gekommen – unserem Ende. Das wäre gut.

Als wir anfingen, uns zu lieben, schwang da immer auch Deine naive Hoffnung auf unsere Ewigkeit in Deinen Worten mit. Natürlich wollte ich dieses schöne Ideal nicht mit meinen versachlichten Negativerfahrungen zerschlagen. Denn meine Wahrheit galt und gilt: Solange es uns trägt …! Wir werden nicht mehr getragen und ertragen uns immer schlechter. Wir dürfen unsere längst begriffene Unzufriedenheit nicht aus Bequemlichkeit künstlich verlängern.

Ich wollte Dich gestern mit einem Kaffee beim Angeln überraschen. Als ich Dich dort sitzen sah, einer Frau Feuer reichend, war ich selbst überraschend wenig überrascht. Mir war, als beobachtete ich einen Freund, dem man Glück und Freude wünscht. Alle Eifersucht hinfort. Was mein war, war wie vergessen und unauffindbar.

Zuerst war da ein Schreck, dann Erleichterung. Du hast gelächelt. Mich kostet Dein Lächeln zu viel Kraft, die ich lange nicht mehr habe. Verbrauchte Liebe lähmt. Doch der Unwille zur Veränderung weicht dem Wunsch nach Besserung. Stetig.

Wir haben jahrelang geübt, ein Wir zu sein. Es beginnt mit einem Umdenken, gefolgt von der Konsequenz, die dann eine neue Gewöhnung nach sich zieht. Mir ist klar, dass der bloße Entschluss unser Leiden nicht spontan beendet. Unzählige Momente getränkt in Zweifel werden alles immer wieder neu in Frage stellen.

Die Erinnerung an diese zerlebte Partnerschaft haftet fortan an uns mit ihren zwei Geistern: Schuld und Tugend. Man sucht den Fehler im System und schließt sogar eine spätere Lösung nicht aus. Falsche Zeit? Falscher Ort? Falsches Alter? Damit werde ich leben. Müssen. Am Ende wird jedoch bestimmt alles wie immer genau so richtig gewesen sein.

Unsere Leidenschaft ist nur noch ein nachgebautes Konstrukt aus der Vorstellung, wie es zu sein hat und der Erinnerung von einst. Die Realität straft uns Lügen. Wir leben innerhalb einer Schablone, deren Grenzen Gesetz sind. Wir stehen uns zu nah und werden uns fremd dabei.

Zärtliche Gesten verkommen zum Symbol von Verlustängsten. Sex dient nur als Einschlafhilfe. Derartig tote Partnerschaften hatte ich immer verurteilt. Heute weiß ich um heimliche Abhängigkeiten, die von außen nicht zu sehen sind.

Unsere Probleme sind so banal wie die anderer Paare, erwürgen uns aber mit ihren erdrückenden Wiederholungen. Meine Kritik war nie Ausdruck Deiner Minderwertigkeit. Das Zusammenleben offenbart immer den Dreck unter dem Teppich, der einem Besucher verborgen bleiben darf.

Kompromisse, ja, der Wille zur Harmonie, sind das einzige Fundament, das ein funktionierendes Zuhause auszuhalten vermag. Die frauliche Empathie entschuldigt die fehlende männliche Umsicht nicht um jeden Preis für immer.

Gewiss waren diese Diskussionen müßig für dich. Jedoch scheint mir die ausbleibende Veränderung respektlos hinsichtlich meiner fortlaufenden Bemühungen. Im Moment frisst unser Haushalt meine Freizeit. Deine uneingelösten Versprechen können nicht darüber hinwegtäuschen. Meine Verzweiflung darüber wächst mit jeder Socke unter dem Bett, jedem Barthaar auf dem Waschbecken, jedem Toilettenputz, jedem Abwasch und dem Schlimmsten: jedem verpassten Dankeschön dieser eigentlichen Kleinigkeiten, die in ihrer angestauten Summe dann doch zum Deal Breaker werden. Wenn ich mich also nicht wie Deine Mutter aufführen soll, wäre es ein Anfang, Du erlöst mich von dieser Rolle. Oder ich mich.

Lass Liebe von mir aus wirklich Arbeit sein, so wird sie doch niemals zum Fulltime-Job.

Lass Liebe von mir aus wirklich Arbeit sein, so wird sie doch niemals zum Fulltime-Job – doch danach fühlt es sich gerade an. Das Leben stellt auch noch andere Fragen als die um unsere gemeinsame Berechtigung: Aber diese überhören wir, weil wir zu laut streiten. Verbraucht sich die Zeit an einem Wir, bleibt ein Ich und ein Du auf der Strecke.

Um meiner selbst willen muss ich den Eindruck berichtigen, mir wäre Geld sonderlich wichtig. Dieses Bild von mir ist lediglich das Ergebnis Deiner Manipulationen, die zusehends unerträglicher wurden. Mein Anspruch an Beziehungen war immer ein anderer und diesen habe ich auch viel zu lange gelebt.

Du hast Dich auf mir über jedes entschuldbare Maß hinaus ausgeruht. Du hast mich bestohlen. Ich habe Dir geliehen. Erst mein vorsichtiges Nachfragen nach einer Rückzahlung, um mich vor Ungerechtigkeit zu bewahren, brachte mich in diese undankbare Position. Ich wollte uns immer vor diesem Thema beschützen. Ich will mich nicht so fühlen müssen und bin auch nicht so.

Dass Du das in Kauf nimmst, wirft ein hässliches Licht auf Deine Intentionen. Dies sage ich Dir aber nur zum Abgleich von Realitäten und nicht, um Dich verletzten zu wollen. Es ist wichtig, dass Du weißt, dass ich nicht dümmer bin als Du. Menschen merken, wenn Menschen lügen – erst recht, wenn man sich wirklich kennt.

Mir die Vorwürfe prophylaktisch zu machen, die ich, von außen betrachtet, hätte Dir machen müssen, hat mich immens verunsichert. Du hast es geschafft, dass ich mir teilweise meiner Wahrnehmung nicht mehr sicher war. Ich weiß, das ist eher Selbstschutz als Angriffswaffe, aber das entschuldigt es nicht. Niemals.

Uns wichtige Menschen bürgen Aufgaben. Du arbeitest wieder, du trinkst nicht mehr, bist selbstbewusst, kümmerst Dich um Dich und Deine Liebsten: Ich weiß um meinen Anteil daran, auch ohne, dass Du diesen benennst. Ich kenne das Vorher. Es geht Dir gut – unabhängig von mir. Das freut mich. Es gäbe keinen besseren Zeitpunkt für Dich, sich auch vom letzten Widerstand zu lösen: mir.

Jeder gibt in einer Beziehung das, was er zu geben bereit ist. Jeden Fehler wiederholt man nur so oft, bis man aus ihm lernt.

Ich hingegen bin kraftlos geworden. Das sage ich ganz ehrlich, ohne Stolz und Mitleidsanspruch. Ich kann nicht mehr. Mir geht es gerade schlecht. Aber „It‘s okay not to be okay.“ Das ist kein Vorwurf an Dich! Wirklich nicht. Jeder gibt in einer Beziehung das, was er zu geben bereit ist. Jeden Fehler wiederholt man nur so oft, bis man aus ihm lernt. Das habe ich jetzt gelernt.

Wir dürfen uns nicht von gemeinsamen Rechnungen und Schubladen davon abhalten lassen, der Gewissheit eines überfälligen Endes Folge zu leisten. Natürlich birgt diese Veränderung neue Probleme, die wir heute noch nicht haben, aber diese vergehen schneller als die Hoffnung auf unser finales Happy End – machen wir uns nichts vor.

Ich muss nicht erst Deine Fehler begehen, um mit Dir im Reinen zu sein. Schaue ich auf die Jahre zurück, sehe ich da nur noch all jene ausdiskutierten Einsichten, die noch nötig waren, um die zu werden, die ich heute bin. Daran ist nichts Schlechtes, selbst, wenn sich Manches so anfühlte. Du kennst ja mein Motto: Druck macht Diamanten! Wir haben (uns) alles gegeben. Lass uns weiterziehen – jeder für sich.

Ich nehme den ersten Zug nach Berlin. Hoffentlich habe ich ausreichend Vorsprung, um mir ein paar Sachen zu holen. Ich bleibe für ein paar Tage bei meiner Schwester. Ich hoffe, der Abstand bringt mir Sicherheit. Alles wird sich klären.

Selbst wenn ich Dich immer ein wenig lieben werde, ist es gut, dass ich mich endlich wieder etwas mehr liebe. Ich werde üben, uns zu vergeben. Alles, was ich sagte, wusstest du bereits. Allerdings wusste ich nicht, ob du wusstest, dass ich es weiß. Ich habe nicht mehr verstanden als Du, sondern war schlichtweg die, die den ersten bitternötigen Schritt zuerst gegangen ist – fern von irgendeinem Egowettkampf. Dieser Brief ist das, was ich mehr mir als uns schuldig bin. Ich liebe Dich aufrichtig, aber manchmal tut Lieben nicht gut. Ich halte Dich in Ehren, keine Frage.

Ein Kuss zum Schluss.“

Er weint nicht. Mit leerem Blick, wirklich gedankenlos, schaut er an die weiße Wand. Er nimmt einen Bleistift von der Kommode und unterschreibt den Brief wie einen Vertrag. Ihr Name fehlt. Er findet es scheiße, verlassen worden zu sein, weiß aber nicht, warum er so fühlt.

Er atmet tief durch. Kurz weint er, obgleich das noch nie etwas gerettet hat. Er duscht, zieht sich an. Alles wie in Trance. Dann packt er seine Sachen schnell zusammen und öffnet die Tür, um das Zimmer zu verlassen.

Gegenüber seiner Tür sitzt sie weinend auf dem Fußboden. Ihr Kopf wird von ihren Händen gestützt. Ihr Blick bleibt am Boden. Sie sagt: „Ich kann nicht!“, und ihre Stimme bricht dabei.

Ende.

Headerfoto: Neblige Tannen via Pexels.com. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür! 

MAKS FRAI wünscht sich Leser, die am Ende für sich lächeln.

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