Der Geruch von Asphalt

Du und ich, da sitzen wir wieder. Kennen uns schon eine ganze Weile. Aber du siehst mitgenommen aus. Irgendwie müde von den Jahren, in denen wir uns immer wieder getroffen haben. Du bist hässlich und gefährlich, denn du bist ein Monster. Du bist das, was ich schon immer aus der Ferne sehen konnte, wenn ich die Hitze meines abfackelnden Obdachs hinter mir spürte. Genau in diesen Situationen saßt du einfach da oder standest an einer Hauswand gelehnt und lachtest mich mit deinem orange-rot illuminierten Gesicht aus, wie ich da lungerte mit gesenktem Kopf und Salz auf den Wangen.
In Sekundenschnelle war deine abstoßende Visage direkt vor meinen Augen und dann spucktest du mir all deinen schwarzen Eiter in meinen Mund. Und die Angst wurde größer und ich selbstverloren und immer weniger kontrolliert. Wochenlang schleppte ich mich in Seelenschieflage durch die Welt. Immer weiter. Wie ein hinkendes Tier, das nie richtig auftreten kann.

Und in unschöner Regelmäßigkeit hast du es geschafft, mich aus dem Leben zu katapultieren und mit einem Gefühl zu quälen, das mir die Luft nahm, mich dazu brachte, mich in kleine Räume einzusperren, bescheuert flehende Nachrichten zu schreiben, in der U-Bahn sitzend zu weinen und mich hemmungslos dem Frust hingebend zu betrinken, nur um dann in der Vergangenheit anzurufen.

Du und ich, da sitzen wir wieder. Kennen uns schon eine ganze Weile. Nicht immer sahst du so mitgenommen aus. Ganz im Gegenteil. Ich erinnere mich an Momente, da kamst du frank und frei angerannt und hast mir von vorn direkt auf die Knie getreten, sodass sie einfach brachen und ich beim Aufprall den schon vertrauten Geruch von Asphalt wahrnahm. Die Schmerzen vermischt mit dem Geschmack der Angst, die du aus der unendlichen Höhle deines Rachens in mich hinein injiziert hast. Es gab eine Zeit, da hatte ich so große Furcht davor, dass es keine Möglichkeit gibt, mich ins Helle zu wagen. Ständig war der Gedanke präsent, dass Licht in meinem Leben nur temporär ist und du auf mich warten würdest. In der Dämmerung und mit der Asche in meinem Rücken.

Du bist allen Menschen bekannt. Wenngleich dein Antlitz bei jedem anders ist. Du bist das Scheitern und der Schmerz des Verlustes. Du bist das Zittern der Hände. Du bist schuldig, denn du holst die Menschen dort ab, wo sie so zerbrechlich sind. Am absoluten Nullpunkt. Und dann lässt du sie und mich einfach fallen, und wir zerspringen in Millionen kleine Scherben. Damit lässt du uns zurück. Immer und immer wieder.

Ja, du und ich, da sitzen wir wieder. Wir kennen uns schon eine ganze Weile. Aber heute blicke ich dir mitten in deine vernarbte Fresse und ich spüre überhaupt keine Furcht. Du wirst mich nicht brechen. Denn ich habe dich und den Schmerz und die Atemnot, die du verursachen möchtest, abgewehrt.
Wir sitzen uns gegenüber, weil ich gescheitert bin. Wieder mal. Und du hast nur darauf gewartet. Aber die Luft wirst du mir nicht nehmen, denn ich habe gelernt zu atmen. Du bist riesig, aber du bist nicht real. Ich kann sehen, deswegen bist du so mitgenommen. Du bist gescheitert. An mir.

Ich bin selbst erschrocken, weshalb mich diese erneute Niederlage überhaupt nicht berührt. Aber so ist das wahrscheinlich Ende der Mittzwanziger. So ist das wahrscheinlich mit 27.
Es ist nicht so, dass ich mich darüber freue, wie wenig es mir ausmacht. Aber ich habe gelernt, dass Scheitern ganz einfach ist und mit Sicherheit dazu gehört. Ich habe realisiert, dass man keine Angst zu haben braucht, nicht genug Liebe zu bekommen. Dass man loslassen darf, auch wenn man manchmal verliert. So oder so.

Headerfoto: Monsieur Tober via Creative Commons Lizenz!

MARKOURT ist 27 Jahre alt und weiß, dass das beste Album der Nullerjahre “Give up” von Postal Service ist. Er und Alkohol sind das Rezept für wochenlangen Gesprächsstoff und Witze auf seine Kosten. Für ihn gilt: Lieber brechend volle Tram als Individualverkehr, lieber telefonieren als Kurznachricht und für immer Francis „Frank“ McCourt. Jedes verdammte Katzenvideo findet er besser als pseudopolitische Diskussion in WG-Küchen und sozialen Netzwerken. Immer wenn es Winter wird, wünscht er sich, dass da eine Person an seiner Tür klingelt, der von Kälte und Wind die Nase läuft. Und dass diese kalte Nase sein Gesicht berührt, wenn er sie küsst.

6 Comments

  • Ein sehr schöner Text… und (leider) wohl den meisten tatsächlich sehr bekannt… dieses Gefühl.

    Aber ist der Schmerz des Scheiterns nicht eigentlich von Nöten? Um Dir zu zeigen, dass es wichtig genug war und Du genug eingesetzt hast um, wenn es geklappt hätte, glücklich zu werden.
    Ist es nicht eigentlich so, dass wenn es Dir nicht (mehr) weh tut, Du nicht genug investiert hast, dass es hätte klappen können?
    Hast Du womöglich schon vorher aufgegeben…?

    Ich finde, dass dieses Scheitern einfach wehtun muss!! Schon damit Du weißt und begreifst, dass Du verloren hast.
    Wenn es nicht weh tut — war es nicht richtig.

  • Überragend ! Mit jeder Metapher voll ins Herz getroffen !!!!
    Danke für diese wahren Zeilen, die das Leben, nicht hätten besser beschreiben können !

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