Was, wenn es ihn/sie nicht gibt?

Ich bin 30 Jahre alt und mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich mit Gedanken an die Männerwelt verbracht. Von ersten Schwärmereien zur ersten großen Liebe, von Dating-Plattformen zu Männer-beinhaltenden Lebensentwürfen bis hin zur Analyse meines Selbst anhand von Beuteschemata, toxischen Beziehungen und Streitverhalten: Es gibt nicht wenige Aspekte im meinem halben Leben, die nichts mit Männern zu tun gehabt haben.

Eine Bekannte sagte mir vor Jahren: „Mich interessieren deine Männergeschichten nicht“. Das hat mich extrem tief getroffen. Schließlich waren meine „Männergeschichten“ keine lapidaren, austauschbaren, over-dramatic Männergeschichten, sondern stets Themen, die zwar durch einen Mann hervorgerufen wurden, aber durch die ich mich besser kennenlernen konnte und die auch emotional etwas mit mir machten, was ich gerne mit meinen Freundinnen besprach.

In den letzten Jahren hatte ich leider kein glückliches Händchen mit Männern und ich bin immer bei dem Typ Mann gelandet, der mich entweder warm hielt, aber sich nie für mich entschied, oder der nach einer intensiven Zeit wortlos aus meinem Leben verschwand.

Ob bewusst oder unbewusst: Diese Erfahrungen haben natürlich etwas mit mir gemacht.

Ob bewusst oder unbewusst: Diese Erfahrungen haben natürlich etwas mit mir gemacht.

Seit fast einem Jahr habe ich keinen Mann mehr gedated; es gibt derzeit niemanden, den ich interessant fände und gerne körperlich an mich ranlassen würde.

Und falls jemand fragt, was in meinem „love life“ so abgehe, antworte ich immer: Ich heile. Meistens kommt dann ein verständnisvolles Nicken oder eine feste Umarmung. Ich liebe diese Menschen. Wir sind nicht allein.

Von Lebensphasen und Sinnsuche

Manchmal nenne ich diese Phase, diese männerleere Vakuumsblase, in der ich mich derzeit befinde, auch spaßeshalber „meine unsexuelle Phase“ – weil Sexualität mir eigentlich immer sehr wichtig war – aber gerade fernab meiner Vorstellungskraft liegt.

Vor zwei Monaten kam mir mit einem Schlag ein Gedanke: Rein statistisch gibt es Menschen, die alleine bleiben und einfach nicht ihr Deckelchen finden. Was, also, wenn ich eine dieser Personen bin und wenn es „ihn“ nicht für mich gibt?

Und wisst ihr was? Dieser Gedanke war eine ganz große Erleichterung. Mit einem Schlag hörte diese unbewusste Suche auf. Das Gefühl, meines Glückes Schmiedin sein zu müssen. Auf Partys zu gehen und sich zu überlegen „Hmm, wen werde ich wohl heute kennenlernen? Werde ich ‚ihn‘ heute kennenlernen?“ Oder sich zu fragen, ob man in der „richtigen“ Stadt lebt? Oder ob „er“ in einer anderen Stadt lebt und man sich einfach nur verfehlt?!

Ich war immer unbewusst getrieben auf der Suche nach meinem Deckelchen.

Ich war immer unbewusst getrieben auf der Suche nach meinem Deckelchen, schließlich haben alle in meinem Umfeld eine:n Partner:in, es ist also nur der natürliche Lauf der Dinge und keine:r möchte schließlich alleine alt werden. Oder?

Mit dem Gedanken, evtl. keinen Partner in crime zu finden, kam aber tatsächlich Ruhe über mich. Ich habe gemerkt, dass ich es nicht schlimm fände, alleine zu bleiben und dass ich die suggerierte Angst und Panik vor dem „alleine alt werden“ zwar unbewusst übernommen habe, aber eigentlich gar nicht habe.

Seitdem ich das erkannt habe, kann ich getrost die Verantwortung an das Schicksal abgeben und neugierig abwarten und heilen, statt ständig das Gefühl zu haben, suchen oder groß was unternehmen zu müssen.

Wenn es sein soll, werde ich ihn auf der Party in dieser einen Stadt treffen. Oder eben nicht. Und dann ist das auch okay.

Denn wenn es sein soll, werde ich ihn auf der Party in dieser einen Stadt treffen. Oder eben nicht. Und dann ist das auch okay.

Seit diesem Tag bemerke ich, dass ich deutlich mehr mit mir connected und bei mir angekommen und weniger abgelenkt von der Suche im Außen bin. Ich habe gemerkt, dass diese ständigen Gedanken an und um Männer mich viel Energie gekostet haben und dass ich nun die Energie habe, um konzentriert bei der Arbeit zu sein, meinen Hobbies nachzugehen oder präsent mit einer Freundin im Park zu liegen, ohne links und rechts zu checken. Ich bin weniger abgelenkt. Entspannter. Und vor allem echter.

Eine spannende weitere Erkenntnis, wider alle Vorurteile, die ich euch nicht vorenthalten möchte, ist außerdem: Auch, wenn ich niemandem gefallen muss oder gefallen will, rasiere ich meine Beine im Winter, kaufe mir schönes Duschgel und schminke mich. Ich mache das tatsächlich für mich, sollen andere vom Patriarchat schreien; in diesem Fall muss ich widersprechen.

Und es ist ein schönes Gefühl, sich für sich schön zu machen und zu pflegen und zu wissen, dass man das heute aus Liebe zu sich tut und nicht, weil man heute einem potentiellen Mann begegnen könnte.

Neue Erkenntnisse und Erleichterungen

Aber die tiefgreifendste Veränderung betrifft mein Spar- bzw. Konsumverhalten: Ich kenne diese absurden Gedanken, zum Beispiel, wenn ich durch IKEA schlendere: „Ach nee, das kaufe ich mir erst, wenn ich dann mit „ihm“ zusammenwohne. Nicht, dass wir das dann doppelt haben.“

Wer weiß, ob es „ihn“ überhaupt gibt! Was für eine Zeitverschwendung, auf ein eventuelles Ereignis zu warten.

Nun denke ich: Wer weiß, ob es „ihn“ überhaupt gibt! Was für eine Zeitverschwendung, auf ein eventuelles Ereignis zu warten und bis dahin in einer Wohnung zu leben, die nicht genau so eingerichtet ist, wie ich das eigentlich möchte! Ich habe bisher so viel nicht getan, weil ich immer auf ihn und den richtigen Moment gewartet habe!

In diesem Sinne war ich letzte Woche Bettwäsche shoppen. Einfache Ausführung. Edles weißes Leinen. Scheiß auf „Und was ist dann, wenn wir eine größere Decke brauchen oder zwei Decken haben, aber die nicht zusammen passen….?!“ You only live once. Ich will das Leben bereits jetzt genießen und nicht auf Eventualitäten warten.

Ich kann euch nur empfehlen, euch einmal auf das Gedankenspiel „was, wenn es ‚ihn‘/‘sie‘ für mich nicht gibt?“ einzulassen und tief in euch reinzuhören, was dieser Gedanke mit euch macht. Bekommst du Panik oder legt sich eine große Erleichterung über dich? Platzen alle Träume und Lebensentwürfe oder entspannst du dich, weil du feststellst, dass es eigentlich voll okay wäre und der ganze Trouble im Alltag deswegen unnötig? Was immer es sein wird: Du wirst eine interessante Seite an dir kennenlernen. Viel Freude dabei.

Unsere Autorin möchte gerne anonym beiben.

2 Comments

  • Schön, dass es eurer Autorin mit dem Gedanken, den passenden Deckel nicht zu finden, so gut geht. Ich, 40, seit mehr als 4 Jahren Single (hab etwas gebraucht, die letzte Beziehung zu „verarbeiten“), wünsche ihr, dass dieses Gefühl anhält. Von mir (Wohnung nach meinen Wünschen eingerichtet, alleine gereist, komme gut mit mir alleine klar) kann ich das nicht behaupten. Mir fehlt schon so einiges…

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