Wie sehr beeinflussen eigentlich Meinungen von anderen das eigene Denken und letztendlich auch das Verhalten? Obwohl ich der Meinung bin, dass ich frei von anderen entscheide, ertappe ich mich immer wieder selbst dabei, dass mich äußere Einflüsse und Meinungen doch mehr beeinflussen, als mir lieb ist.
Ganz banal hat es vor Jahren angefangen, als ich mir geschworen habe, ich werde nieeeee diese Röhrenhosen tragen. Heute befinden sich in meinem Kleiderschrank fast ausschließlich solche Exemplare… Oder Facebook. Niemals wollte ich mich damals von dem geliebten studiVZ (kennt das überhaupt noch jemand?) trennen, um in den Armen dieser Datenkrake aka. Mark Zuckerberg zu landen. Heute? Undenkbar! Nur eines von vielen Beispielen, dass wir Menschen uns dem Strom der Zeit anpassen und – ob unbewusst oder nicht – den Trends anpassen. Irgendwie.
Ist das auch so mit gesellschaftlichen Werten und Normen? Erwartungen und Lebensentwürfen? Ich habe neulich eine alte Bekannte getroffen. Und immer wenn unsere Wege sich kreuzen, lautet ihre Frage (nach dem obligatorischen „Hey, wie geht’s?“) „Na, was macht die Liebe?“ Ich weiß nie so recht, was ich darauf antworten soll. Ist das das einzige, was interessiert? Ist man nur normal, wenn man Mann (wahlweise Frau), Haus und Kind vorweisen kann? Was ist überhaupt normal? Worum geht’s da? Mein Haus, mein Auto, mein Kind und du so? Diese Thematik scheint omnipräsent zu sein.
Vor allem bei Leuten aus meiner Heimat. Einem winzigen Dörfchen irgendwo in der Provinz. Ihr wisst schon, Fuchs und Hase. Ehemalige Freunde, die zu flüchtigen Bekannten geworden sind. Weil sie immer noch in dem Dorf von damals wohnen und noch immer in dieselben Cafés gehen, in dieselben Bars und womöglich auch noch über dieselben Themen sprechen, während die Musik von damals aus den Lautsprechern dröhnt. Weil sie immer noch dieselben sind oder ich einfach so anders geworden bin.
Es steht fest, es hat sich etwas verändert. Gesellschaftlich. Zumindest in den großen Städten. Urban Lifestyle und so. Wir sind eine Generation, aufgewachsen mit allen Möglichkeiten, geprägt durch die grenzenlose Freiheit, die nicht zuletzt durch das Internet vorgegaukelt wird. Das Gras auf der anderen Seite ist irgendwie immer grüner. Deshalb fällt es uns so schwer – mir so schwer – sich festzulegen. Wir wollen schließlich das beste von allem, ausnahmslos. Aber was das genau ist, das wissen wir nicht. Wir verspüren nicht mehr den Drang, alles komplett anders machen zu müssen, so wie es unsere Eltern noch bei ihren Eltern verspürt haben. Wir besinnen uns zurück auf traditionelle Werte. Legen Wert auf Nachhaltigkeit, sind bio, vegan oder was auch immer. Wir haben alle studiert, sind gebildet und weltgewandt und dennoch fallen wir in ein Loch, wenn wir von nun an alles alleine regeln sollen. Vielleicht sind das die Schattenseiten dieser schier unendlichen Fülle an Möglichkeiten und eines von Freiheit und Individualität geprägten Lebensstils.
Sind wir wirklich so frei und selbstbestimmt? Oder beeinflussen uns Meinungen und (vermeintliche) gesellschaftliche Normen doch mehr als uns lieb ist? Wieso bekommt eine Freundin latente Panik, wenn sie an ihrem 30. Geburtstag ohne festen Partner (so heißt das ja jetzt) da steht? Wieso ist die Zahl 30 (in Worten: dreißig) so allgegenwärtig und tief in unserem Bewusstsein verankert? Die arme Zahl kann nichts dafür, dass sie eine solche Projektionsfläche für (unerfüllte) Wünsche und Sehnsüchte ist. Dennoch sitzt das tief. Eine Kollegin sprach mich neulich an, ob ich denn nun einen Freund hätte. Und sagte mir, dass ich mich doch mal ranhalten müsse, in meinem Alter. Wieso? Bin ich nur ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, wenn ich zwei bin? Weil ich alleine quasi gar nicht glücklich sein kann? Ich für meinen Teil genüge mir selbst und fühle mich großartig dabei. Ich mag es nicht, mir von außen irgendwelche Lebensweisen aufoktroyieren zu lassen. Wer sagt, dass man in dem und dem Alter, dies und jenes erreicht haben muss? Ich entscheide gern selbst. Und ich bin es auch leid, mitleidige Blicke zu ernten, für die Art und Weise wie ich lebe. Denn sie ist alles anders als bemitleidenswert – im Gegenteil.
Selbstverständlich bin auch ich nicht abgeneigt, mein Leben mit j e m a n d e m zu teilen – irgendwann. Ich habe nichts gegen die Haus-Nestbau-und-Babys-machen-Menschen. Ich habe was dagegen, das zu tun, weil man es halt so macht. Am besten noch mit dem oder der Nächstbesten – wegen der Comfort Zone und so.
Vielleicht bin ich irgendwann selbst eine von denen. Von denen, die ein Häuschen am Stadtrand, im Grünen baut und mit 200 Kindern lächelnd über die grüne Wiese hüpft. Mein Mann, mein Haus, mein Auto, mein Kind. Bis dahin bin ich einfach ich und genieße mein Leben. Das kann ich nämlich tatsächlich auch ganz gut allein.
Headerfoto: Ashley Campbell via Creative Commons Lizenz!
Auch wenn ich vor der nahenden dreißig keine so große Angst habe, weil ich im Großen und Ganzen schon da stehe, wo ich mit dreißig sein wollte (Mann inklusive): Ich kann trotzdem sehr gut nachvollziehen, was du meinst. Es gibt immer „allgemeingültige Regeln“, an die man sich irgendwie halten soll. Warum heiratet ihr nicht? Warum schenkt ihr euch nichts zu Weihnachten? Warum zieht ihr nicht irgendwo hin, wo es günstiger ist? Der Allgemeinheit fällt es oft schwer, zu akzeptieren, dass nicht alles der Norm entspricht – wobei die Norm ja äußert relativ ist. Im Endeffekt geht aber doch jeder den Weg, den er für sich selbst gewählt hat. Und damit sind wir doch wieder frei. Irgendwas macht doch jeder, wofür er schräg angeguckt wird. (Und an manche Dinge muss man sich einfach gewöhnen, um sie gut zu finden: Röhrenjeans zum Beispiel.)
Hallo Larissa, vielen Dank für deine Worte. Ja, natürlich gibt es allgemeingültige Regeln. Ich mein, ich breche ja auch nicht bei meinem Nachbarn ein und ziehe ihm eins mit der Bratpfanne über, nur weil mich sein arien-artiges Gesinge in den Wahnsinn treibt… Ne, Spaß beisteite. Ich weiß, was du meinst.
Am Ende des Tages können nur wir selbst entscheiden. Aber sind wir denn wirklich so frei, wie wir glauben? Oder gewöhnen wir uns einfach nur an manche Dinge, oder arrangieren uns gar damit? Wegen der Comfort Zone…?
Genau das, Sarah! Danke für deine lieben Worte <3
Wahnsinn, du schreibst mir so aus der Seele. Mit diesen Gedanken liege ich gerade hier im Bett, mit mir ein Glas Rotwein und stelle die Gesellschaft und unsere angebliche Freiheit so in Frage.
Man gibt uns Hoffnung, wir sind frei, wir können uns selbst verwirklichen, wir können das werden, was wir sein wollen. Wir können dankbar sein für das, was wir haben, wir leben in Demokratie, sind durch den Staat abgesichert, es gibt keinen Krieg. Und immer wird uns das vor Augen gehalten, wenn wir den Fernseher anschalten oder die Zeitung aufschlagen und neue Artikel über die Kriege in Syrien, Irak, den Verstoß und die Brutalität der ISIS sehen und lesen.
Aber bin ich wirklich frei, wenn ich nach einem System lebe, was mir vorgibt – du gehst zur Schule, du machst deine Ausbildung, du studierst und dann arbeitest du in einem Bürojob bis du in Rente gehst. Und dazwischen, welches Leben haben wir dazwischen, was von oberflächlichen, leeren Bekanntschaften geprägt ist – die dir sowieso nur das Gefühl geben, dass du dazugehörst, wenn du als Frau nach festem Partner, Familie und Reihenhaus mit Golden Retriever strebst 🙂
Ach ja und dann kommt es natürlich dazu, dass es in der Großstadt auch gar nicht mehr so einfach ist, jemanden kennenzulernen – alle sind ja irgendwie ach so verletzt aus vergangenen Partnerschaften und können/wollen sich nicht mehr fest binden. Gerade in München scheint es extrem schwer, hier tiefer zu gehen als bis zu einer oberflächlichen Party/Fitnessstudio/Büro Bekanntschaft …
Dennoch gibt es immer wieder Schein, wenn man Artikel wie deinen liest und weiß, man ist nicht allein mit seinen Empfindungen 🙂
Lieben Gruß,
Sarah