Pleite in Berlin

Berlin zehrt so rein ideologisch noch von den 90ern, der Zeit, in der ohne Geld und mit viel Aufwand irgendwie alles möglich war. Club eröffnen, Liebesparaden schmeißen, Hedonismus bis zum Abwinken. Aber langsam holt die spätkapitalistische Realität auch die Hauptstadt ein. Der ökonomische Druck steigt und gleichzeitig sind wir dazu gezwungen, neue Lebensentwürfe und Arbeitsethiken zu vereinen. Die Revolution ist zwar auf der To-Do-Liste, aber jetzt, genau jetzt, sitzen wir hier, überqualifiziert und unbelehrbar, vom Selbstverwirklichungsversprechen dazu verführt, eine Karriere entlang unserer Talente einzuschlagen und freelancen oder künstlern so vor uns hin. Es gibt sie, die Durststrecken, in denen man entgegen der kohlenhydratreduzierten Diät doch nur noch Pasta isst und die Freizeitaktivitäten unter durch Hartz IV finanzierbares Niveau sinken. Kein Grund zur Sorge, man kommt auch Pleite durch Berlin! Wichtig ist: unnötige Ausgaben vermeiden, unnötige Höflichkeit über Board werfen und sich als dreister Sparfuchs durchschnorren. 10 Tipps für ein prekäres Spaßpaket:

#1 Geh nur noch in Clubs, bei denen du auf der Gästeliste stehen kannst.

Vielleicht kann man seine Feiergewohnheiten jetzt nicht mehr daran ausrichten, worauf man wirklich Lust hat, aber legt nicht immer irgendwer irgendwo auf oder arbeitet nicht jemand, den man kennt, in diesem ranzigen Club? Musik-Snobbismus bei Seite, Hauptsache man geht mit Tinnitus nach Hause.

#2 Mehr Rauchen!

Man spart Geld, wenn man nicht mehr raucht? Wenn du keine Kohle hast, ist das aber ein schlechter Grund aufzuhören, weil du ohnehin schon zu wenig zu beißen kriegst, oder? Hörst du mit dem Rauchen auf, kannst du deine Fressflashs nicht finanzieren und Sport kannst du dir ja eh nicht leisten. Oder: Du findest spirituelle Stärke in deiner temporären Unfähigkeit zu Konsum, hörst mit dem Rauchen auf, hörst dafür auf deinen Körper, gehst einfach laufen und ziehst das jetzt durch, ohne dir deprimiert zwei Wochen lang alles reinzufahren, was essbar ist. Mit dem Rauchen aufhören ist eine gute Übung für Willensstärke. Mehr Rauchen zügelt den Appetit. Entscheide selbst.

#3 Mehr kochen!

Auf dem Weg zur Bahn ein Brötchen vom Bäcker, auf dem Weg nach Hause eine Laugenbretzel, nach dem Club (nur mit Gästeliste, s.o.) doch noch eine Pommes oder eine Dönerbox – classy.  Das sollte auf deinem Sparradar aber sofort anschlagen! Unnötige Ausgaben, schnell auf Sparkurs umsteuern! Pack dir halt ‘ne Stulle ein, bevor du raus gehst. Koch dir abends ein bisschen mehr und nimm dir davon was mit ins Büro. Das Tagesmenü des Businesslunch liegt jetzt in deiner Hand! Mehr kochen heißt nicht nur, quantitativ mehr kochen, sonst überhaupt öfter kochen. Lass dich von deinen Freunden zum Essen einladen – oder lad sie ein. Oder: Schmeißt alles für ein gutes Essen zusammen. Deine Laune darf am Pleite sein nicht leiden, aber das wird sie, wenn du dich scheiße ernährst. Dosenravioli sind nicht die Antwort, sondern der Grund für eine lange Fresse. Nicht vergessen: Beim Apfel immer die Schale mitessen, da sind die Vitamine drin.

#4 Pleite aus Berlin raus?

Du willst Freunde in einer anderen Stadt besuchen, weil du es pleite in Berlin nicht mehr aushältst? Schwing den Wischmob, hübsch dein Zimmer auf, vermiete es für die Zeit deines Trips und refinanziere deine Reisekosten. Duh! Einfach, oder?

#5 Urlaub in Berlin

Auch wer hier geboren ist, kennt die Stadt nicht auswendig. Wenn du dir keinen Urlaub leisten kannst, dann mach einfach Urlaub in der Stadt. Rauf aufs Fahrrad und z.B. mal auf ins Hansaviertel. Nie davon gehört? Nachkriegs-Avantgarde-Architektur direkt neben dem Tiergarten, wie Museum nur ohne Eintritt. Oder lauf durch Rixdorf und stell dir vor, du wärst irgendwo… in… Wo auch immer du sein willst! Die Gedanken sind frei. Oder paddel mit einem Bötchen über den Kanal. Leih dir einen Hund aus und erkunde Parks außerhalb des Rings. Verlass den Kiez, Tapetenwechsel ist gut für gestresste Pleitegemüter.

#6 Klamotten für 0-5€

Zum Glück liegen so viele Modejahrzehnte hinter uns, in denen sich kaum was geändert hat, dass wir jetzt fröhlich aus dem Fundus vergangener Dekaden Klamotten für uns abgreifen können. Keine Neuigkeit, aber in den Trödelläden findet man mit ein bisschen Geduld und Durchhaltevermögen immer wieder gute Sachen. Warum eine neue Jeans für 50€ kaufen, wenn‘s eine Levis für 5€ sein kann? Flohmärkte, die keiner kennt, sind auch eine gute Möglichkeit, billig an Klamotten zu kommen. Du musst nicht gleich aussehen, als wärst du ein frisch eingeflogener London-Hipster, aber oh, warte, für die Bestellung bei großen britischen Versandhäusern fehlt dir ja jetzt eh die Kohle. Ganz mieser Trick: Geh in eine Bar und sag du hast den schwarzen Pulli/Schal/die schwarze Jacke letztens liegen lassen. Wird nachgehakt, sag einfach „so schwarz halt“ und wenn dir die Barperson was zeigt, sag einfach „Ja genau! Oh Gott ja! Danke! Das ist meiner!“ Klappt garantiert und im Zweifelsfall lag das Teil schon ewig in einer Kiste mit Lost&Found-Sachen, die niemals abgeholt werden.

#7 Such dir einen Nebenjob.

Damit meine ich jetzt nicht unbedingt sowas wie “arbeite in einer Bar”, auf die Idee kommt man von selbst. Aber es gibt Leute, die Dienstleistungen wünschen, die ihnen wohl kaum jemand erfüllen möchte. Wie wäre es beispielsweise mit jemandem, der dir beim Zahnarzt das Händchen hält und auch noch dafür Geld gibt? “Ich bewundere es total, wenn Männer tapfer beim Zahnarzt sind. Daher würde ich gerne einen tapferen Typen zum Zahnarzt begleiten. Ich biete 100 € für jede Füllung, die in meinem Beisein ohne Spritze gemacht wird (bei Kronen auch mehr). Bitte melde dich :-)” Gefunden bei einer einschlägigen schwulen Dating-Website. Wer auch damit die Angst vor dem Arzt nicht überwinden kann oder es weniger intim will, der findet Leute, die gerne für einen Fuffi die Füße massieren. Und und und… Du musst nicht kreativ sein, nur ein bisschen offen. Craigslist hilft dir bestimmt weiter, und wenn es nur nackt putzen ist.

#8 Verkaufe IRGENDWAS.

Du hast ein Handy mit Kamera? Gut. Du hast bestimmt Sachen, die unnötig sind. Mach Bilder davon und verkauf sie online. Stell dir vor, du würdest ins Ausland gehen und dürftest nur zwei Koffer mitnehmen. Was kann weg? Raus damit, wenn du pleite bist, kannst du dich auch mal von deinem Materialismus kurieren.

#9 Flirte mit allem und jedem!

Barkeeper, Leute, die auf dich stehen, alle alle alle. Oder sei einfach ehrlich freundlich. Du musst dich nicht gleich würdelos jedem an den Hals werfen, aber mit einem Lächeln im Gesicht hast du bestimmt einen Shot in der Hand. Hauptsache du hast Spaß dabei.

#10 Such dir einen Sugardaddy.

Das kann man jetzt wörtlich auslegen oder ein bisschen abstrahieren. Geht auch ein bisschen in die Richtung des letzten Tipps: Es gibt bestimmt jemanden, der dir gerne etwas ausgibt. Bist du pleite, weil du selbst immer großzügig warst? What comes around, goes around. Zähl auf deine Freunde (oder such dir tatsächlich einen Sugardaddy).

Headerfoto: Rowena Waack via Creative Commons Lizenz!

KEVIN zerbricht sich gerne den Kopf über alles, was mit Liebe zu tun hat. Überhaupt schreibt er gerne über alle möglichen zeitgenössischen Phänomene zwischen Pop- und Subkultur. Keine Kneifzange, alles kommt in den literarisch-essayistischen Fleischwolf. Neben dem freien Schreiben bloggt er auf "wolf auf tausend plateaus" über genau das: Alles und Mögliches.

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