Mind versus Herz

„Superwitzig!“, dröhnt das Gelächter des Masterminds zu unserem kleinen Herzen herunter, und das kleine Herz wappnet sich schon mal. „Echt, richtig gut. Wie hast du dir denn das jetzt schon wieder vorgestellt?“, will der Mastermind vom kleinen Herzen wissen, welches mutig aufsteht und dem Mastermind trotzig die Stirn bietet.

„Weißt du, lieber Mastermind, wir haben uns das schon gut überlegt, das war überhaupt gar keine Schnapsidee.“ – „Höret, höret“, intervenieren da bereits der mittlere und der rechte Leberlappen, „wir haben da ja etwas ganz anderes erlebt!“ – „Ja, gut, ok, vielleicht waren da schon der eine oder der andere Schnaps und vielleicht auch noch ein, zwei Gläschen Wein involviert, und ja, na ja, so schlimm doll betrunken waren wir aber gar nicht, das hätten wir ja gemerkt, da sind wir uns ganz sicher, und unsere Beine hätten uns schon beim Besteigen des Rades den Dienst versagt, also, wie gesagt, sooo schlimm kann’s gar nicht gewesen sein. Und abgesehen davon, weißt du, liebster Mastermind“, schmeichelt das kleine Herz dem großen M., „ist es ja nun auch schon eine ganze Weile her, dass wir dachten, dass dieser Mensch vielleicht ein Abenteuer für uns bereithalten könnte, oder sogar mehr als ein Abenteuer, vielleicht sogar ein klitzekleines bisschen traute Zweisamkeit, vielleicht sogar ein paar kleine oder große Gefühle, weißt du, das ist doch alles schon lange vorbei, verarbeitet, nicht vergessen, nein, aber vergessen wäre ja auch Quatsch, aber, und da waren wir uns bis vor ein paar Tagen auch noch sehr sicher, wir dachten, dass unsere Gefühle, so echt sie sich damals angefühlt haben mögen, vielleicht auch gar nicht so ganz, vielleicht nicht zu hundert Prozent, sondern, na ja, so zu einundfünfzig Prozent überhaupt nur realistische Gefühle sein konnten, denn, das ist uns leider, wie es so häufig ist, erst im Nachhinein aufgegangen, wie sollen sich denn innerhalb von solch einer kurzen Begegnungszeit überhaupt so große Gefühle entfalten können, das geht doch nie, in diesem Fall schon gar nicht, da kam doch viel zu wenig zurück, und das, was da an Gefühlen war, das… war vielleicht der betörenden physischen Zweisamkeit geschuldet. Zu jener Zeit wie heute. Moment mal, heute?“

„Wie dem auch sei“, argumentiert das kleine Herz weiter. „Es ist ja auch nicht so, als hätten wir uns das vor ein paar Tagen zum allerersten Mal überlegt“, und stockt. „So ganz stimmt das auch nicht“, bemerkt es. „Vielleicht war dieser Plan auch doch vor wenigen Tagen ganz plötzlich aufgetaucht, zumindest mit einer solchen Entschlusskraft, einer solchen Umsetzungsbereitschaft.“

„Wahrscheinlich sogar doch, denn da waren vorher immer noch diese Zweifel gewesen, diese Skepsis, ob Begegnungen überhaupt so sinnvoll sind, denn irgendwie wollte keine richtige Freundschaft entstehen, aber ja auch keine physische Nähe mehr, nein, denn die hatten wir uns ja verboten, als das kleine Herz sich dachte, dass es mehr vom anderen Herzen wollte, mehr als dieses uns geben konnte oder jemals geben zu können glaubte, also brauchten wir ein Ende, ein radikales, keine Treffen mehr, keine Telefonate, hier geblockt, da gestrichen, und so war es eine Weile gut, bis da dann doch wieder Begegnungen waren, ach, wir waren noch nie so gut in Sendepausen, was bringen die auch, warum sollte man liebe Menschen denn einfach so aus seinem Leben streichen.“ Das, so fand das kleine Herz schon immer, wäre völliger Humbug. Also traf es sich mit dem anderen Herzen, sie tauschten Neuigkeiten aus, ein wenig Tratsch, ein wenig Emotionen, aber von allem nur gerade so viel, dass keine frische Nähe entstehen konnte, ja nicht, das wäre doch zu gefährlich. Und nach jedem Treffen nagten neue Zweifel am kleinen Herzen, was das denn bloß sei, was die beiden Herzen sich da vorzugaukeln versuchten, war diese Berührung nicht ein kleines bisschen zu lang, jene Verabschiedung nicht ein My zu hastig, war denn das, was sie dort versuchten, nicht ein wenig zu gewollt, zu aufgesetzt, ein großes Puppentheater, nur um den guten Schein zu wahren, vor sich selbst und den anderen?

Und jetzt, so plötzlich, dieser Meinungsumschwung. Das andere Herz brauchte seine Tür nur einen haarfeinen Spalt öffnen, liebe Gesellschaft hätte es sich gewünscht, es war gerade allein, schwang da etwa ein Hauch von Einsamkeit mit. „Ha!“, dachte sich das kleine Herz. „Ja, aber natürlich, sicher, sofort kommen wir vorbei, machst du uns auf?“ So lud es sich selbst ein und wurde mit offenen Armen empfangen, wie sollte es auch anders sein.

Nähe konnten diese beiden Herzen, diese beiden Körper, besonders gut, und so war auch nichts Seltsames daran, dass es so holterdipolter wieder war wie vor wenigen Monaten noch, und keines der beiden Herzen verschwendete viel Zeit mit Grübeleien, schlagen war die Devise, und zwar auf Hochtouren!

„Äh, ja“, besinnt sich das kleine Herz, es war ja gerade noch dabei gewesen, sich dem Mastermind auseinander zu setzen. „Wo war ich noch gleich? Richtig, gerade wollte ich sagen, dass wir schon vorher über diese Option nachgedacht haben, allerdings müssen wir uns hier korrigieren. Wir hatten mit dem Gedanken schon gespielt, das ist ganz richtig, aber bisher hatten wir ihn jedes Mal ohne viel Aufhebens zu machen wieder verworfen, weit über den Zaun des Nachbarn gespielt, aber irgendeine treue Seele muss den Ball wieder zurückgebracht haben, denn da war der Gedanke plötzlich wieder aufgetaucht, und mit genügend Schnaps und dem Gefühl, dass unsere Gefühle doch damals mindestens zur Hälfte aus Wogen der Sehnsucht nicht nach ihm, sondern allgemein nach Nähe und Zärtlichkeit bestanden, sah er gar nicht mehr so verwerflich aus, wie er uns zuvor noch erschienen war.“

„Und ja, wir wissen doch, was du uns als nächstes fragen wirst“, gibt das kleine Herz zu. Durch die Wallungen seiner aufgewühlten Rede war es beinahe auf das doppelte Herzvolumen angeschwollen, jede seiner Fasern war aufs Äußerste gespannt gewesen, und so langsam kehrte es zu seiner ursprünglichen Größe zurück, kürzer wurden die Abstände, mit denen Blut gepumpt wurde, sein Schlagen wurde leiser. „Frag ruhig, los.“

Der Mastermind weiß nicht, ob er das kleine Herz schon wieder schelten sollte. Diese Neuigkeiten muss auch er erst einmal verarbeiten, denn die Gefühle des kleinen Herzens wollen sich ihm einfach nicht erschließen, dieses Gebiet war nicht sein Fachbereich, aber er war nun einmal der, an dem alles hängenblieb, wenn der Rest des Körpers verrückt spielte und wieder einmal alles in die Binsen gegangen war. „Vielleicht“, denkt er sich, „ist ja noch gar nicht alles verloren.“ Von der Antwort des kleinen Herzens auf diese Frage hängt nun einiges ab, und er beginnt:

„Kleines Herz, wie gedenkst du, in dieser Sache fortzufahren? Siehst du ein, dass eine dauerhafte Auseinandersetzung mit diesem anderen Herzen und dem dazugehörigen Körper uns über kurz oder lang schaden wird? Ich setze mein Vertrauen in dich, dass du weise entscheiden wirst, du weißt ja, was davon abhängt.“

„Ja“, erwidert das kleine Herz, „ich weiß, was davon abhängt, das hast du mir ja nun schon mehr als einmal gepredigt. Ich hab aber leider noch keine Antwort für dich, also gib uns bitte noch ein paar Tage Bedenkzeit, ich gehe in Rücksprache mit dem Rest des Körpers, hier haben nämlich noch ein paar andere Mitspracherecht, und dann komme ich auf dich zurück, ja?“

Widerwillig genehmigt der Mastermind dem kleinen Herzen seine Bedenkzeit, ermahnt es aber ein weiteres Mal: „Achte darauf, dass du nicht noch mehr unüberlegte Dummheiten machst, denn für das Denken bin immer noch ich zuständig, also pass auf: Wenn du dich weiter über mich hinwegsetzt und eigenständig Entscheidungen triffst, bevor ich mein Veto einlegen kann, muss ich mir so langsam aber sicher Sanktionen für dich überlegen, das lass dir gesagt sein!“

„Gut“, stimmt das kleine Herz zu, „ich verspreche es, hoch und heilig, mein mit Spucke besiegeltes und im Boden vergrabenes Indianerehrenwort, bevor ich handle, komme ich zu dir zurück.“

„Bald, ganz bald muss das sein“, fügt das kleine Herz im Stillen hinzu, „denn lange kann ich dem Verlangen zu Handeln sicher nicht widerstehen.“

Lisa liebt Hunde mehr als Menschen, würde sofort die Taschen packen und ins englischsprachige Ausland auswandern, wenn sich die Gelegenheit böte und hat als Berliner Neuzugang den Verlust Hamburgs noch nicht endgültig verschmerzt. Mehr von Lisa gibt es auf kleinherz.

Headerfoto: Leanne Surfleet via Creative Commons Lizenz! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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1 Comment

  • Niemals hätte ich gedacht, dass ich mal einen Kommentar poste,
    aber das sagt wohl auch einiges aus.
    Jede Zeile konnte ich mitfühlen, in meinem Körper tobt genau dieser Kampf.
    Vielen Dank!

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