Ich weiß immer nicht, von was die Leute sprechen, wenn sie von Vermissen reden. Oder von der Leere, die zurückbleibt. Bei mir ist da keine Leere, bei mir sind da nur tausend Gedanken und Orte. Orte, an denen wir zusammen waren. Mein Balkon, auf dem wir geraucht haben. Wenn ich den kleinen Wagen sehe, frage ich mich immer, ob du ihn auch siehst. Ob du auch gerade dasselbe tust und an mich denkst. Ob du überhaupt noch an mich denkst. Ob du nachts nicht schlafen kannst, weil dich dieselben Schmerzen quälen. Ob du manchmal auch Dinge erlebst, bei denen du mich gerne anrufen würdest, aber nicht kannst. Ob du auch von mir träumst und konsterniert aufwachst, weil du feststellst, dass da jemand anderes neben dir liegt, weil ich nicht mehr neben dir liege. Ob du auch nicht schlafen kannst, wenn jemand anderes als ich neben dir liegt. Ob du auch die ganze Nacht kein Auge zumachst, weil es falsch riecht, falsch schmeckt und sich anders anfühlt. Weil Sie nicht Ich ist.
Ob du bei den kleinsten Kleinigkeiten an mich denkst und ob auch alles diesen melancholischen Beigeschmack hat. Ob über allem ein Schleier hängt, als ob es immer regnet. Ob dein Herz manchmal so schwer ist, dass es dir körperliche Schmerzen bereitet, als ob tausend Steine auf deiner Brust liegen. Ob du unsere Musik hörst und an unsere Konzerte denkst, an unsere Geburtstage, an die Geschenke und die Getränke. An unsere Nächte und an unsere Tage. An unseren Streit und an unsere Liebe. An all die bösen Worte und das Geschrei. An zugeschlagene Türen und angezogene Schuhe, weggeworfene Dinge, zerschlagene Handys und Trennungen. An gepackte Taschen und gelöschte Nummern. An all die Wut, an die Ignoranz und all die Tränen. An das Vermissen und das Hassen und die Sehnsucht. An andere Betten, andere Küsse, andere Körper und andere Herzen.
An das Vergeben und Verzeihen, neuer Versuch.
Fragst dich auch manchmal, wo all die Zeit hingegangen ist? All diese Jahre? Was aus uns geworden ist? Dass wir uns heute nicht mehr kennen? Warum wir uns heute nicht mehr kennen? Warum es dir unangenehm ist, wenn wir in einem Raum sind oder du länger als fünf Minuten in meiner Nähe bist? Wo uns das alles hingebracht hat? Was das alles aus uns gemacht hat? Warum man es immer wieder versucht und doch immer wieder scheitert?
Wo der Punkt gewesen wäre, rechtzeitig den Absprung zu schaffen? Den Absprung, um sich noch zu kennen und um sich nicht zu hassen. Den Punkt zu finden, an dem noch nicht alles zu Bruch gegangen ist, außer ein paar Tellern. Fragst du dich auch, warum man einfach alles auf eine Karte setzt und doch alles verliert? Und warum manche Menschen sagen: Manchmal gewinnt man, auch wenn man verliert?
Ich dachte, wenn mein Kopf nur irgendwann endlich versteht, dass es zu Ende ist, dann versteht mein Herz es auch. Aber mein Herz versteht es nicht. Mein Herz fühlt nur – und es fühlt nichts als kalte, harte Wirklichkeit. Sehnsucht nach einer Zeit, die man nicht zurückdrehen kann.
Manchmal würde ich gerne meine Sachen packen und einfach weggehen, weil mich jeder Ort, jede Straßenecke, einfach alles an dich erinnert. Einfach weggehen und dich hinter mir lassen. Aber ich weiß: Ich kann nirgendwo hin, denn du bist sowieso immer da.
Headerfoto: Orly V. (Gedankenspiel imprint added) via Creative Commons License 2.0!
Gänsehaut.
Es berührt mich sehr. DANKE, für den Einblick in deine Seele. LG, Vivi