Liebe nach Fahrplan?

Als ich 14 Jahre alt war, bestand mein Leben aus nicht viel mehr als Schule, Musik und Tagträumen. Letzteres konnte ich besonders gut und obwohl ich (wenn wir mal ganz ehrlich sind) noch wenig bis gar nichts vom Leben mitbekommen hatte, durchlebte ich Zukunftunftsszenarien als wären sie bereits bittersüße Realität.

Wie die meisten Teenager war ich ziemlich verunsichert, was meinen Marktwert anging und wie die wenigsten Teenager hatte ich absolut keine Ahnung, wie das mit diesem Beziehungsleben zu funktionieren hatte. Ich kannte Beziehungen nur vom Hören-Sagen, aus Büchern, Filmen und Musik, denn meine wundervolle Mutti war seit ich denken konnte alleinerziehend und „Beziehungen“ zwischen Großeltern zählen bei so was einfach nicht. Vielleicht wird es sich der ein oder die andere hier bereits denken können: Ja, wer seine Vorstellungen von Partnerschaften insbesondere durch Medien (die wenig Interesse daran haben, funktionierende, gesunde Beziehungen abzubilden) inspirieren und prägen lässt, geht möglicherweise an die ganze Sache ein bisschen gestörter ran, als manch andere. Für mich konnte es jedenfalls gar nicht schnell genug gehen. Bücher wie „Engel&Joe“ zogen mich in ihren Bann. (Eine junge Ausreißerin lässt sich von ihrer „großen Liebe“ – einem obdachlosen Punk – auf dem Boden eines Supermarktes während einer Großdemo schwängern und glaubt bis zum Einzug ins Mutter-Kind-Heim an die Magie ihrer Verbindung.) Ich konnte nicht genug bekommen von der nervenaufreibenden Vorstellung alles, aber auch wirklich alles, alles, alles für die große, einzigartige Liebe zu geben. Die Liebe, der man mit 15 Jahren unverhofft begegnet und an der man gewaltsam festhält – bis du die Liebe, oder die Liebe dich, letztlich in die Knie zwingt. Das war alles ziemlich aufregend und gewürzt vom Tenor süßer Versprechungen, alles in allem eine ausgezeichnete Strategie, um sich vom öden Provinzalltag zu therapieren.

Die Tage zogen ins Land, die Männer (oft) und Frauen (manchmal) kamen (meistens) und gingen (immer). Ich hatte ziemlich genau gelernt, was man tun muss, um es jemandem recht zu machen und hatte keine Idee davon, was ich eigentlich erwartete. Wozu ich bereit gewesen wäre, um die Illusion der Liebe ohne Grenzen am Leben zu erhalten, stand stets im Fokus meiner Überlegungen. Was ich aber eigentlich selber wollte, hätte ich (jetzt mal abgesehen vom entsprechenden Haarschnitt und dem favorisierten Schuhwerk) lange Zeit kaum artikulieren können. Klar, ich hatte mich selber schon früh als emanzipiert wahrgenommen und hätte mein Unvermögen, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen sicher stets heftig dementiert – blickt man aber mal nüchtern auf die Geschehnisse der letzten zehn Jahre zurück, so muss auch ich einsehen, dass ich keinesfalls diesen selbstbestimmten und vor allem selbstbewussten Weg gegangen bin, den ich mir selber vorgaukelte. Wir hatten kein Kabelfernsehen zu Hause, sondern lediglich eine umständliche Zimmerantenne, deren Kernkompetenz weniger im störungsfreien Empfangen von Fernsehsendungen, als im stetigen Einstauben und Umfallen lag. Öffentlich rechtliches Fernsehen war, was sexuelle Belange betraf, recht harmlos. Sexy-Sportclip-freie Zone sozusagen und wenn sich in der ein oder anderen Daily Soap doch mal das Protagonistenpaar ein bisschen zu lang, zu nahe kam, konnte man noch immer hektisch-beschämt umschalten. Waldtiere. Sport. Kochshow. Gott sei Dank. Die Bravo durfte ich nicht lesen und wenn doch, dann zumindest die Seiten mit den nackten Jugendlichen abgeklebt. Was viel medial spekuliert wird, kann ich zumindest aus eigener Erfahrung bestätigen: Was ich über das Idealbild einer „perfekten Frau“ gelernt habe, ist nicht unwesentlich durch meine heimische Barbie-Sammlung geprägt worden. Kein Wunder also, dass ich schon als 15-Jährige mit vermeintlichen Idealmaßen an mir gezweifelt habe. Der erste Freund – ich war ganz überwältigt von dem Gefühl, dass sich jemand für mich interessierte. Ein Gefühl, nachdem man süchtig werden konnte.

Und immer noch habe ich nur nach außen geschaut. Was will er, was kann ich tun, was mache ich falsch. Wenn ich mich heute bei Partnersuchenden so umsehe, fühle ich mich nicht selten an die Verhaltensmuster meiner frühen Jugend erinnert. Da geht es ständig um die eine Frage: Was muss ich tun, um zu gefallen? Der perfekte Fahrplan ins Glück, minutiös in unzähligen Ratgebern und Klatschkolumnen manifestiert. Viel Spielraum bleibt einem da oft nicht mehr, denn ein flüchtiger Blick ins Dossier gängiger Zeitschriften verrät schnell, worum es angeblich geht. Nicht etwa um das, was man persönliches Glück nennt, die Frage nach eigenen Erwartungen, Ansprüchen und Zielen. Thema ist stets die Fremdbefriedigung. Was Männer (die von Ghandi bis Hitler natürlich alle die gleichen Eigenschaften und Erwartungen haben) wirklich wollen – oder umgekehrt – wird einem da in ermüdender Dauerschleife immer wieder neu vor Augen geführt. Eine konstruierte Medien-Figur, die „den Mann“ oder „die Frau“ pauschal berechenbar und somit auch erreichbar machen soll. Anstatt sich auf sein reales Gegenüber individuell einzulassen und sich Unsicherheiten gegenseitig zu- und selber einzugestehen, erlernen wir verkrampft hypothetisch gerechtfertigte Verhaltensmuster, die wiederum weder als Erfolgs- noch Glücksgarant fungieren können. Männer werden über ihre Erzeuger-Beschützer-Versorger-Qualitäten definiert und somit oft auf nicht viel mehr als auf den Merkmalschlüssel Potenz-Größe-Beruf herunter gebrochen. Ich mag gar nicht aufzählen, wie oft ich höre, dass Männer aufgrund ihrer Körper- oder Schwanzgröße verunsichert sind oder einen Job nur wegen des Gehalts und der möglichen Erwartungshaltung seiner fiktiven Zukünftigen annehmen. Die bedürftige Frau wiederum (klein, niedlich, eben typisch weiblich), braucht eine „starke Schulter“ an der sie sich anlehnen kann und sucht natürlich nach einem Partner „mit dem man sich auch einen gewissen Lebensstandard leisten” kann. Schon als Jugendliche machen wir oft die Erfahrung, dass Mädchen von Partys abgeholt werden und Jungen „schon alleine zurecht kommen“. Als Mädchen selbstständig sein oder als Junge auch mal bedürftig? Dafür finden die wenigsten Eltern in solchen Zusammenhängen ein wohlwollendes Gehör. Nicht allzu selten fühlt man sich als „Mädchen“ dann wirklich dazu berufen, bestimmte Dinge wie selbstverständlich einfach zu erwarten.

Schließlich kommt einem so ein betäubend-bequemes, vorgefertigtes Instant-Mantra davon, was man wollen soll, gerade recht, um die beängstigende Hinterfragung dessen, was man vielleicht ganz persönlich vom Leben und vom Partner erwartet, zu verdrängen. Viel zu existenziell, viel zu bedrohlich, viel zu unbequem und unsicher. Lieber Mainstream-Wollen und dafür die erwartungskonforme Anerkennung der ebenfalls ferngesteuerten Leidensgenossen kassieren. Wer heutzutage etwas „in Angriff“ nehmen möchte, greift nicht selten erstmal zu einem schönen Sachbuch, das uns den einen richtigen Weg zum Ziel vorzeichnen soll. Ob nun die perfekte Zitronen-Tarte, eine exotische Pflanzenzucht oder eben der Mann fürs Leben Mittelpunkt des Interesses ist – natürlich gibt es für jede Lebenssituation eine normierte Patentlösung, am besten noch mit „Erfolgsgarantie“. In Dating-Ratgebern werden uns die abenteuerlichsten Tipps und fragwürdigsten Flirtstrategien aufgebunden, als wären sie auf unfehlbaren Fakten begründet. „Am besten ihr unterhaltet euch über irgendeinen unbelebten Gegenstand, wie Autos oder Computer – das ist das, was Männer neben Brüsten am meisten interessiert!“, wird in einem dieser unsäglichen Klischeeschinken als „bester Weg, um einen Mann kennenzulernen“ angepriesen. Na klar, jeder Mann interessiert sich nur für Brüste und alternativ für Sport und Technik. Was dich interessiert, tut sowieso nichts zur Sache und die Frage, ob du überhaupt einen Mann willst, der nach diesem Schema F funktioniert, kommt erst gar nicht auf. Erinnere ich mich daran zurück, wie ich in der Vergangenheit Bekanntschaften erschlossen habe (und sieh an, wir haben uns über gemeinsame Interessen wie Musik oder Literatur unterhalten), scheine ich einiges falsch gemacht zu haben.

Wenn ich solch brachial-stigmatisierenden Zeilen lese, die beiden Geschlechtern jeden Funken von Individualität zugunsten generalisierbarer und letztlich entwertender Eigenschaften abspricht, und darüber hinaus sogar noch die persönlichen Bedürfnisse der Partnersuchenden derart selbstverständlich übergeht, dreht sich mir der Magen um. Andere Autorinnen und Autoren raten dazu, einfach ein „beliebiges Kompliment“ auszusprechen oder bestimmte Verhaltensmustern des Gegenübers minutiös zu analysieren, um die Motive und Gefühle des anderen zu entlarven. Auf diese Art implizierte Erwartungshaltungen und Berechnungen machen uns blind für den realen Menschen direkt vor unserer Nase. Ich bin keine durch mein Geschlecht generierte Menschenhülle, die sich von einem empathielosen, aber dafür gut belesenen, Klischeeproll „fachgerecht“ erobern lässt. Warum wird einem nicht dazu geraten, sich darüber klar zu werden, was man eigentlich selber möchte? Weshalb wird künstlich eine Menschenschablone zusammenfantasiert, die dies will und jenes kategorisch ablehnt, anstatt einfach mal zu fragen und insbesondere zuzuhören, was der oder die andere überhaupt zu sagen hat? Warum holen wir die Person (die sich ja angeblich im Fokus unseres Interesses befindet) nicht da ab, wo sie steht, sondern laden ein übermächtiges Paket von Erwartungen und konfusen Theorien vor ihr ab, das mehr über unsere eigenen verunsicherten Existenzängste aussagt, als über die realen Eigenschaften unseres Gegenübers? Liebe kennt keine Formel und kein Mensch ist wie der andere. Leg die Ratgeber weg und mach die Augen auf. Glücklich-Sein lässt sich weder einstudieren noch berechnen. Streif‘ endlich die Geschlechterrollen-Zwangsjacke ab und such erst nach dir selbst und dann nach dem Partner oder der Partnerin fürs Leben. Wer weiß, vielleicht teilt diese Person sogar deine Affinität für Autos, Fußball und Titten!

Muschimieze ist gelernte Herrenmaßschneiderin, wohnt seit 4 Jahren in Berlin und jobbt momentan in einem Klamottenladen bis sie im Oktober anfängt zu studieren (Richtung „brotlos, aber klingt cool“). Im Alltag gehört es zu ihren größten Herausforderungen die richtige U-Bahnhaltestelle nicht zu verpassen, weil ihr Kopf meist in mehr oder minder anspruchsvoller Literatur zu den Themen Gender, Feminismus oder ähnlichem steckt. Ansonsten sammelt sie lustige und skurrile Screenshots aus Internetpornos und hofft darauf, dass diese Sammlung irgendwann die nötige Anerkennung kriegt, von wem auch immer. Mehr findet ihr hier

Headerfoto: David Zellaby via Creative Commons Lizenz!

Muschimieze

3 Comments

  • Muss deiner Analyse recht geben. In einem (Beziehungs)gefägnis ist es doch oft viel gemütlicher.;) Und was überfordernde Erwartungen betrifft , hilft(oft) der Satz: Ich bin gut genug , so wie ich bin und brauche die Erwartungen anderer nicht zu erfüllen , um geliebt und anerkannt zu werden und teile meine Gefühle und Bedürfnisse den anderen mit . Denn nur wirkliche Liebe und Geborgenheit macht uns innerlich satt. Und dafür brauchen wir uns nicht zu schämen.

    Und jemanden RatSCHLÄGE zu geben, hat noch niemanden wirklich geholfen. Zumindest ist das auch meine Erfahrung.

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