Liebe ist eine Hure von Gefühl. Bei mir zumindest. Warum ist es immer vorbei, bevor es angefangen hat? Warum ist es am stärksten, wenn es ambivalent ist? Warum investiert man, wenn es lange gilt loszulassen? Und baut Mauern, wenn es Zeit wäre, zuzulassen? Warum scheint es nur mir zu passieren, während Männer sagen, dass alle Frauen so wären? Warum haben sie damit so unverschämt oft Recht? Warum überrenne ich so oft zielsicher und heftig alle Warnschilder, die ich mir letztes Mal versprochen hatte, nächstes Mal nicht so naiv zu übergehen? Nächstes Mal. Nächstes Mal wird alles anders, vielleicht sogar besser.
Nächstes Mal werde ich schlau sein, aber nicht so schlau, dass er denkt, man könne keinen Spaß mit mir haben. Nächstes Mal werde ich humorvoller sein, aber nicht so witzig, dass er mich in der Kumpelschublade verschwinden lässt. Nächstes Mal bin ich gerade sexy genug, um nicht billig zu wirken. Selbstbewusst, aber nicht dominant. Ergreife die Initiative, immerhin bin ich eine stolze, gestandene Frau dieses Jahrhunderts. Die weiß, was sie will. Aber dieses Mal, dieses nächste Mal, werde ich ihn damit nicht einschüchtern. Nicht stalken, nicht hard to get spielen, nicht zu viel schreiben, nicht zu früh die Flinte ins Korn werfen, mich mit der Flinte auch einfach mal erschießen, nachdem ich peinlich oder anhänglich war. Nicht zu früh mit ihm ins Bett gehen, aber auch nicht zu lange warten.
Alles genau richtig, anders und gleichzeitig auch das Gegenteil davon tun. Immerhin muss man in die Liebe investieren. Richtig? Liebe fällt nicht vom Himmel, Beziehungen bedeuten Arbeit und Ehen sind Arbeit mit Steuervorteil. Manchmal vergesse ich bei all dem Ärger, was noch mal genau der Vorteil davon sein sollte. Von Beziehungen. Manchmal wünsche ich mir einfach nur eine funktionierende Beziehung. Und manchmal wünschte ich, die drei Prozent lesbische Neigung in mir wären mehr, größer als fünfzig Prozent. Denn unter Frauen ist das bestimmt anders. Einfacher. Verständnisvoller. Da gibt es keine Spielchen, da ist alles viel schöner, ganz bestimmt.
Warum meine ich eigentlich, denselben Fehler immer wieder aufs Neue begehen zu müssen? Warum nehme ich widersprüchliche Signale nicht als Warnung, sondern eher als Herausforderung wahr? Wann habe ich mir eingeredet, Liebe hätte etwas mit Leistung zu tun? Und wie komme ich darauf, von Liebe zu sprechen, wenn ich doch eigentlich gar keine Ahnung habe, was das ist? Sie vielleicht nur aus Liedern und von Plakaten und aus meinen Wunschvorstellungen kenne? Braucht Liebe nicht erst die Zweiseitigkeit und dann die Stabilität? Bevor sie sich so nennen darf?
Ich kenne nur immer wieder die gleichen Geschichten, mit wechselnden Gesichtern und über unterschiedliche Zeitspannen hinweg. Meistens: Ich kann und will nicht. Ich will, aber traue mich nicht. Oder ich opfere jeden Selbstwert in der Illusion eines romantischen Kampfes um einen hohen Preis, den am Ende ich alleine zahle. Der Preis von Zeit, Energie und der Verwunderung, wie ich bloß damals hätte meinen können, dass wäre es wert. Er wäre es wert. Ausgerechnet er. Oder er. Aber diesmal er, wirklich. Ich lerne aus Fehlern, wie – ein Vergleich erscheint mir ehrlich gesagt nur anmaßend, denn ich lerne immer wieder, dass ich nicht besonders viel daraus gelernt habe.
Diese verdammten Gefühle! Ein Haufen Gefühle, ich habe so viele davon, ich mache ein All-You-Can-Vomit-Buffet meiner Gefühle, Second Hand, im Sonderangebot, zum Alle-Jahreszeiten-Schlussverkauf. Ich habe so viele davon, ich will sie nicht einmal mehr. Ich zerhacke sie, verkaufe sie, produziere neue am Fließband. Ich bin eine Massenproduktion des gesamten Emotionsspektrums. Ich bin die Weltwirtschaftskrise meiner Empfindungen, ich vergebe nämlich immer wieder Kredite im Vorschuss, die nie jemand vorhatte zurückzuzahlen.
Aber ich höre auch nicht auf damit, wieso auch? Ich bin vor allen Dingen sehr müde davon. Sehr enttäuscht. Sehr traurig. Sehr wütend. Und manchmal auch ein wenig belustigt. Belächle zwischendurch die neue Serienstaffel meines Erlebens, ohne starke Charakterwandlung oder Handlungsstrangentwicklung. Ist das ein Wort? Die Qualität nimmt wie erwartet und stetig von Folge zu Folge ab und alle eingespielten Lacher gibt es erst im Rückblick. Keine Absetzung abzusehen. Mal im Ernst, wann hat das je funktioniert? Wann wurde aus ambivalent denn bitte stabil, treu, liebevoll, aufmerksam? Oder verbindlich? Kennt jemand wirklich jemanden und nicht nur die Freundin einer Freundin?
Apropos Freundinnen: Ein Thema für sich. Sie übernehmen in diesem Trauerspiel grob kurze Statisteneinsätze mit den möglichen Phrasen: Er will, aber er kann nicht. Er kann, aber will nicht. Vielleicht will er nicht, weil er kann. Vielleicht kann er nicht, weil er meint, können wollen zu müssen. Und noch weitere so verwirrte Abwandlungen, die alle ziellos einen zentralen Punkt übersehen. Ignorieren. Exekutieren. Es ist nicht! Was auch immer du willst und er nicht. Punkt. Gute Freundinnen sagen dir genau das. Es ist nicht da, nicht wenn du außerhalb deiner Erwartung, Hoffnung, Naivität, Tagträume und Illusionen die hübschen Augen öffnest und der Realität Guten Tag sagst.
Du kannst der Realität auch sagen, dass sie dich mal kreuzweise kann, das ist ihr leider völlig egal. Für dich wird sie sich nicht ändern. Und das bringt es auch auf den Punkt: Ich will auch nicht mehr meinen, mich ändern zu müssen. Mehr sein zu müssen. Oder weniger. Ich finde, nur sein zu müssen schon anstrengend genug. Ich habe mir das hart erarbeitet, emotional, instabil, unsicher, kompliziert, anstrengend, sensibel, direkt, zu intensiv, zu tief, zu ernst, zu viel, immer viel, zu viel, zu viel zu sein. Ich habe mir dieses Recht in all den Jahren verdient, erkämpft, viele Opfer dafür gebracht und sehr liebevoll dabei gelitten. „Hi, ich bin Zuviel und wie heißt du? Nett dich kennenzulernen.“ Zuviel bin ich immer, immerhin konsequent, in allen Bereichen. Ein schöner Kontrast zu meiner sonstigen Identitätsstörung.
Zuviel bin ich. Für alle anderen und für mich selbst am aller meisten. So decken sich Selbst- und Fremdwahrnehmung wenigstens einmal. Ob ich damit glücklich werde? Wahrscheinlich nicht. So wie bisher ja auch nicht. Aber jemand sein, der ich nicht bin, ist irgendwie anstrengender als unglücklich zu sein. Also gestatten, ich baue mir dann mal ein Nest aus meinen Nicht-Mehr-Erwartungen an mich selbst. Lege mich rein, ich fetter Vogel vollgestopft mit einer Liste von Namen und Erinnerungen an die dazugehörigen Gefühle. Ich weigere mich vielleicht auch einfach erst mal, flügge zu werden. Ich bin Tonnen schwer von der Nicht-Bereitschaft, es irgendwann noch einmal hinkriegen zu müssen. Ich prostituiere meine Gefühle nicht mehr, ich kündige hiermit offiziell und beantrage morgen mein persönliches emotionales Hartz-IV.
Headerfoto: Leanne Surfleet via Creative Commons Lizenz! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Super Text. Wärmste Empfehlung zur Linderung dieses Schmerzes über’s Verstehen: “Warum Liebe weh tut” von Eva Illouz. Soziologie. Du wirst dich wiederfinden. Und sehen: Du bist nur nicht nur nicht allein, du bist auch nicht schuld!
Herzlich, David
Ich danke dir – für dieses ehrlichen und tief-verwurzelten-Gefühlsausbruch-liebevollen Beitrag. Danke <3
Wahre Worte! Du sprichst auch mir direkt aus der Seele und ich kann komplett und aus tiefster Seele nachvollziehen was du schreibst!
Unglaublich toller Text und du hast mein ganzes Gedanken und GefühlsChaos mehr als nur auf den Punkt getroffen. Unglaublich viel Dank an dich und deine Worte.
Da soll nochmal jemand sagen, dass Worte nur Schall und Rauch sind.
Und du fühlst dich nicht allein, als wärst du zuviel. Wir sind gut sowie wir sind und müssen lernen liebevoller mit und zu uns selbst sein.
Ganz großartiger Text. Als hättest du meine Gefühle und Gedanken gelesen!
auf wundervolle Weise beängstigend gut formuliert.
Lange her das mich ein Text so bewegt hat. Vielen Dank!
Liebe Mariam, du sprichst mir aus der Seele. Das ist wirklich ein wunderschöner Text! Liebe Grüße, Jean ♥
Mariam, das kam gerade richtig. Merci.
Ich dachte bei jedem Absatz: “Jaa, sie spricht mir aus der Seele!!!” Mit jedem Absatz fühlte ich mich noch mehr verstanden von einer mir fremden Person und dadurch irgendwie weniger allein