Ich glaube daran, dass das Leben mit einer Sinuskurve zu vergleichen ist. Jeder von uns kennt sie. Jeder von uns hat sich in der Schule mit Sinusfunktionen geplagt. Eine Funktion, die periodisch wellenförmig verläuft. Von null anfangend und Werte von -1 bis +1 auf der Y-Achse annimmt. Das Wort Sinus bedeutet in Latein auch nichts anderes als Krümmung, Biegung oder Bogen. In genaueren Worten gesagt: ein ständiges Auf und Ab. Genauso wie im Leben. Jeder von uns kennt es. Setzen wir Y mit der Anzahl an glücklichen Momenten oder Erfolgen im Leben gleich, wobei die Werte im Minimum bzw. Maximum auf der Y-Achse nur die Werte -1 bzw. +1 annehmen können, dann kennen wir alle das folgende Phänomen: Es gibt fantastische, grandiose, supergeile Phasen, in denen wir uns im Bereich von +1 befinden und dann gibt es verdammt schlechte, beschissene, fiese Phasen, in denen wir uns eher bei -1 befinden.
Aber kommen wir zu mir …
Ich bewege mich auf einem schmalen Grat zwischen Gut und Schlecht, zwischen Auf und Ab. Läuft es fantastisch gut, will ich unterbewusst, dass es mir wieder grottenschlecht geht. Man nennt es auch Borderline. Selbstzerstörerisches Verhalten, Stimmungsschwankungen, impulsive Handlungen…? Oh ja, das bin ich.
Ich bin Profi bei der Sabotage meiner Beziehungen. Und das alles nur, um von +1 ins -1 zu gelangen oder anders herum. Warum tut man so etwas? Das kann sowieso kein Mensch rational erklären. Ich bin süchtig nach dem ständigen Auf und Ab und das alles nur, um mir Glückshormone zu entziehen oder wieder zuzuführen. Tag und Nacht wundere ich mich, wenn die jeweiligen Phasen zu lange andauern. Ich versuche zwanghaft, etwas im Leben zu verändern, alles nur, damit es schlagartig in das andere Extrem umschlägt. Ich sehne mich danach, ich zerre danach, ich halte mich nicht mehr lange selber aus. Und dann, wenn ich mich in das andere Extrem stürze, pumpt das Blut, mein Herz rast und ich beginne etwas zu spüren. Mich selber zu spüren.
Nach acht Jahren Dauerbeziehung und keinem Tag Pause erreichte ich letztes Jahr, als ich nach Hamburg zog, meine langersehnte Singlephase. Jahrelang habe ich davon geträumt, mich danach gesehnt. Endlich konnte ich Zeit für mich haben, um mich nur auf mich alleine zu fokussieren. Und was ist passiert?
Ich kam an einem sonnigen Samstag in Hamburg an. Freudestrahlend jetzt in der geilsten Stadt der Welt wohnen zu dürfen. An diesem Abend stürzte ich mich in das aufregende Nachtleben der City. Zack! Boom! Die Singlephase wurde nach einer kurzen Lebensdauer von zwei Wochen wieder schlagartig beendet. Das ist das Problem, wenn man Borderline hat. Man befindet sich nicht nur auf dem schmalen Grat zwischen Gut und Böse, sondern in meinem Fall auch zwischen Single und Nicht-Single.
Wie vorauszusehen war, bin ich nicht lange bei dem Mann geblieben. Ich bin nie lange bei irgendjemandem geblieben. Nach einer glücklichen, euphorischen Eingewöhnungsphase kam ich zum Punkt, an dem es wieder passierte. Unruhe. Ich wollte was spüren. Ich wollte was ändern. Ich wurde panisch. Ich musste was ändern. Ich war auf dem Weg vom Auf ins Ab.
Ein Exfreund sagte mal zu mir, dass ich rastlos sei. Meine ständige Fahrt auf der Sinuskurve des Lebens lässt in mir manchmal die Frage aufkommen: „Nach was suche ich eigentlich? Warum dieses ständige Auf und Ab?“ Man sagt, dass andere Menschen unsere Spiegel sind und dass wir an anderen Menschen das verabscheuen, was wir selber an der eigenen Person verabscheuen. Im Nachhinein betrachtet kann ich nur sagen, dass es stimmt. Vielleicht kann ich nur in einer Phase zufrieden mit jemandem sein, wenn ich mit mir selber zufrieden bin. Davonrennen und etwas schlagartig zu ändern ist ja bekanntlich immer viel einfacher, als sich mit einer Person auseinanderzusetzen. Oder noch schlimmer: sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Mittlerweile habe ich wieder mal eine brandneue, heißgeliebte „Singlephase“ eingeleitet. Warum in Anführungszeichen? Ganz einfach: Auch aktuell kann ich nicht von mir behaupten, alleine zu sein. Trotzdem bewege ich mich mit ihm erneut auf dem schmalen Grat zwischen Auf und Ab. Aber ich lerne dazu und muss sagen, ich kann mein Spiegelbild mittlerweile echt gut leiden.
Und letztendlich müssen wir uns fragen: „Sind wir nicht alle ein wenig Borderline…?“
Headerfoto: Jean-Philippe Rebuffet via Creative Commons Lizenz!

Wenn es denn eine Sinus Funktion sein muss dann empfehle ich folgende Anpassungen:
1.4*abs(sin(x/10))-0.4
–> http://www.mathe-fa.de/de
Mal im Ernst von Außen betrachtet ist meist nicht das Wechseln selbst das Problem sondern die Stärke und Plötzlichkeit mit der es eintritt. 🙂