Die Zeit heilt also alle Wunden. Irgendwie will man nicht so recht daran glauben, zumindest so lange nicht, bis die Wunden verheilt sind und nur noch Narben zurück bleiben. Wie lange es dauert, bis sie verheilt sind, ist relativ. Die Zeit ist relativ. Die Wunden heilen also relativ, zeitlich gesehen, relativ schnell. Oder eben auch langsam. Aber eben relativ.
Wenn ein Astronaut mit Lichtgeschwindigkeit durchs All fliegt, dann vergeht die Zeit für ihn langsamer, dann altert er weniger schnell als der Rest von uns auf der Erde. Also sagen wir, ein Astronaut ist 30 Jahre alt, wenn er zu seiner Weltraum-Mission zu einem entfernten Planeten aufbricht. Er hat eine Frau, sie ist auch 30 wenn er aufbricht – einfachheitshalber. Und wenn er jetzt mit Lichtgeschwindigkeit zu diesem Planeten fliegt und dort seine Navigationsgeräte ausfallen, weswegen er eine Wende fliegen muss und wieder zurück zur Erde fliegt, in Lichtgeschwindigkeit, hat er irgendwie die Zeit überholt. Das liegt an dieser Wende, die er fliegt, wodurch er dann dafür sorgt, dass die Zeit auf der Erde wie im Zeitraffer vergeht. Jedenfalls während für ihn zehn Jahre vergangen sind, sind für uns auf der Erde 50 Jahre vergangen. Er ist 40, wenn er zurück kommt, seine Frau ist 80.
Also wenn sich der Astronaut mit 98% der Lichtgeschwindigkeit relativ zur Erde bewegt, verlangsamt sich die Zeit um den Faktor fünf. Die Zeit vergeht viel langsamer. Die Zeit kann nicht altern. Seine Wunden heilt die Zeit also nicht? Oder eben viel langsamer? Wenn die Zeit langsamer vergeht, bleiben seine Wunden für die Zeit, die er weiter mit Lichtgeschwindigkeit durch die Galaxien rast, also länger bestehen? Ziemlich schmerzvolle Vorstellung, wenn die Wunden nicht heilen. Gebrochene Herzen, die im Weltall nicht heilen, weil die Zeit eben nun mal relativ ist, wenn man mit Lichtgeschwindigkeit… Das ist natürlich alles hypothetisch, aber auch Lichtgeschwindigkeit fliegen ist hypothetisch. Aber irgendwie doch gut, dass wir hier auf der Erde sind. Da heilt die Zeit alle Wunden.
Über kurz oder lang ist alles, was man so erlebt, relativ. Und das Leben dröhnt nur noch an einem vorbei. Die angehäufte Summe an falschen Entscheidungen stapelt sich immer höher und höher und dröhnt an einem vorbei. Es dröhnt so laut, dass selbst das Falsche egal wird und keine Zeit zum Bereuen bleibt und doch nichts bleibt, als das, was man bereut. An das, was man nicht getan hat, erinnert man sich viel länger, als an das, was man getan hat. Und ich habe so vieles nicht getan und es dröhnt an mir vorbei.
Headerfoto: Lulu Lovering via Creative Commons Lizenz! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Autorenfoto: Florian Grey
