Wertschätzung in Beziehungen – liebe(r) einmal zu viel, als einmal zu wenig

Die Menschen, die wir lieben, sind die wichtigsten in unserem Leben. Sie geben uns Halt, haben unser Vertrauen, sind die Hüter unserer Geheimnisse und das Nachschlagewerk unserer Geschichten. Sie sind immer für uns da und kennen uns in- und auswendig. Oft brauchen wir nicht einmal Worte, um uns mit ihnen zu verständigen. Es sind unsere Eltern, Geschwister oder Verwandte. Und es sind Fremde, die über die Zeit zu Freunden oder sogar unserem Partner wurden.

Was unsere Beziehung zu diesen Menschen so speziell macht, ist das mächtigste Gefühl der Welt – die Liebe. Es lässt uns eine Verbindung zu ihnen aufbauen, die wir zu anderen nicht haben. Wir öffnen uns, möchten mit ihnen Zeit verbringen, uns austauschen und können uns letztendlich bei ihnen komplett fallen lassen. Dieses Gefühl, die Liebe, hat viele angenehme Seiten und bringt Wohlwollen mit sich. Deswegen tut sie so gut. Denn wir Menschen brauchen Anerkennung und Wertschätzung – irgendjemand, der es gut mit uns meint und uns in unserem Sein bestätigt.

Doch je länger die Beziehung anhält, je selbstverständlicher es ist, dass der andere Mensch in unserem Leben und an unserer Seite ist, desto mehr vergessen wir, ihm diese Wertschätzung zu geben. Und das, obwohl sie doch die Kronjuwelen in unserem Tower of Life sind.

Lange Beziehungen brauchen die Offenbarung der großen Gefühle genauso sehr wie frisch Verliebte.

Die Liebe hat viele Sprachen und ein „Pass gut auf dich auf“, ein spontaner Wie-geht’s-dir-Anruf, eine Urlaubskarte oder eine innige Umarmung sind Ausdruck unserer Zuneigung. Doch genauso sehr sind sie fast schon Floskeln, weil wir sie innerhalb der Beziehung schon so oft gebraucht haben. Aber lange Beziehungen, auch zu Freunden und den eigenen Eltern, brauchen die Offenbarung der großen Gefühle genauso sehr wie frisch Verliebte. Und dann ist nichts deutlicher, als ein konkreter Satz der Dankbarkeit.

„Du bist ein ganz besonderer Mensch für mich.“ „Du bist eine echte Bereicherung in meinem Leben.“ „Ich bewundere deine Art.“ … Was es auch sein mag, was wir an dem anderen schätzten. Es hin und wieder mal zu formulieren und auszusprechen, tut dem Gegenüber und der Verbindung gut.

Doch, was ist, wenn diese Liebe und diese Beziehung, die wir so wertgeschätzt haben, fast unbemerkt in eine alltägliche Situation übergegangen ist und wir nicht mehr nur vergessen haben, unsere Wertschätzung kund zu tun, sondern sie auch gar nicht mehr empfinden? Auf einmal kotzt einen vielleicht eine Menge an der Person an.

Und dann passiert es, dass wir die Nähe, die uns die Liebe mal verschafft hat, nutzen, um schamlos aneinander herumzukritisieren und uns im Zweifel aufs Schlimmste zu beleidigen. Wir investieren mehr Energie in Streits als in die Unterhaltungen, die wir immer so geliebt haben. Das ist Gift für jede Beziehung und wenn wir da noch irgendwas retten wollen, brauchen wir einen neuen alten Fokus.

Es ist nicht schwer, sich die Momente, Taten oder Wesenszüge wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, für die man immer dankbar war.

Es ist natürlich nicht einfach, über all die Dinge, die einen nerven, hinweg zu sehen. Es ist aber nicht so schwer, sich die Momente, Taten oder Wesenszüge wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, für die wir immer dankbar waren. Wenn der Fokus wieder darauf zurückfällt, kreiert das zumindest einen neutraleren Boden, um respektvoll miteinander zu sprechen.

Vielleicht stellt sich dann auch heraus, dass sich eigentlich nichts in der Beziehung verändert hat. Dass wir nur frustriert sind, weil zum Beispiel das Stresslevel höher ist als sonst oder die Wertschätzung am Arbeitsplatz fehlt. Nicht selten lassen wir diese Frustration an unseren Liebsten aus. Obwohl, und da wiederhole ich mich gerne, sie doch unsere Kronjuwelen sind, müssen sie im Zweifel auch am härtesten einstecken.

Liebe kommt nicht ohne Wertschätzung aus, aber Wertschätzung kommt ohne Liebe aus. Denn im Grunde geht es neben der Bewunderung in erster Linie um Achtung und Respekt. Und mit dieser Haltung sollten wir ja eigentlich jedem Menschen begegnen. Das ist allerdings sehr viel leichter gesagt, als getan.

Kein Mensch auf dieser Welt hat einen genauen Wert, nicht einmal Models, die ihre Beine versichert haben.

Innerhalb von Sekunden bewerten wir Menschen aufgrund unserer Erfahrungen und wenn uns etwas aufstößt, dann werden wir abwertend oder sogar abfällig. Dabei hat kein Mensch auf dieser Welt einen genauen Wert, nicht einmal Models, die ihre Beine versichert haben. Nichtsdestotrotz scheint es Wert-Modelle zu geben, auf die wir uns geeinigt haben. Sie werden an Haarfarben gemessen oder an der Figur.

Wir müssen uns ein für alle Mal davon verabschieden, dass unser menschlicher Wert irgendetwas mit unserem Gewicht, unserem Kontostand, unserer Nationalität oder unserem Geschlecht zu tun hat.

Lasst uns unsere Lieben lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig lieben. Unsere Mütter, unsere Freunde, unseren Partner. Lasst uns versuchen, mit weniger Vorurteilen und Wertschablonen durch den Tag zu gehen. Ich glaube, dass die Welt ein besserer Ort ist, wenn jeder so sein kann, wie er ist, und dafür respektiert wird.

Headerfoto: Kuschelndes Paar via Shutterstock. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür.

KARLIE APRIORI ist Singer-Songwriterin und reflektiert in ihren Texten das Menschsein. Dabei sucht sie immer nach der ehrlichsten Antwort. So eigenartig sie auch sein mag, die Wahrheit erblickt das Licht der Welt. So, wie es Hemingway empfohlen hat und so, wie es doch auch am meisten Spaß macht: „All you have to do is write one true sentence.“

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