Schön ist definitiv gut! Und ihr könnt fotografieren wie die Profis!

In der Modeschule, an der ich vor gefühlten zwanzig Jahren war, durfte man niemals den Fehler begehen, als Argument für ein Design „Ich finde das aber schön so“ hervorzubringen. Das wusste da jeder. Ich verstand damals, dass die formalen Bewertungskriterien im Studium mehr wogen als der eigene Geschmack, fand es aber trotzdem unfair. Wieso hatte die eigene Ästhetik in der Argumentation für seine eigene Arbeit keine Rolle spielen dürfen?

Heute bin ich froh darüber, Dinge genauso machen zu können, wie sie mir gefallen. Ich habe keinen Dozenten mehr über meiner Schulter hängen, der mir sagt, dass meine Linien zu gerade sind. Dass ich aus mir rauskommen und einfach auch mal was total schief machen müsse.

Das Fotografieren habe ich nie offiziell gelernt. Ich wurde einfach über die Jahre immer besser. Es geht beim Erlernen von Dingen vorrangig eh nicht um Talent, sondern darum, was wir passioniert verfolgen möchten. Hätte ich genauso viel Zeit ins Gitarrespielen gesteckt wie in das Fotografieren, wäre ich jetzt Gitarristin – vielleicht nicht die weltbeste, aber eine richtig gute.

Ich finde die Menschen vor meiner Linse schön und ich fotografiere sie so schön wie möglich, damit sie sich selbst auch so schön wie möglich fühlen und sich alle schön zusammen freuen.

Meine Porträtfotos sind oft so akkurat und geradlinig, dass viele jubeln, ganz viele aber auch von Brechreiz übermannt werden. Ich habe schon immer so fotografiert. Ich finde die Menschen vor meiner Linse schön und ich fotografiere sie so schön wie möglich, damit sie sich selbst auch so schön wie möglich fühlen und sich alle schön zusammen freuen.

Ein Foto von einem lächelnden Menschen macht mich einfach glücklich und das hat nichts damit zu tun, an welchem Ort und in welcher Verfassung dieser Mensch ist. Dieser hier ist gerade durch die Sahara gelatscht, wurde in Libyen versklavt und sitzt nun nach einer Nacht im überfüllten Schlauchboot auf einem Fischkutter im Mittelmeer mit nichts als einer Hose und einem Pulli am Leib. Er ist sehr schön.

Irgendwas in der Fröhlichkeit, Kantenlosigkeit und gewissen Konformität macht manche Menschen bei der Betrachtung von im gegenteil wütend. Wahrscheinlich, weil wir in den Single-Porträts ihrer Wahrnehmung nach ein Bild von einer Art Supermensch zeichnen, der jeden Morgen joggen geht ohne zu schwitzen, frische Schnittblumen für den Tisch kauft, einen selbstgemachten Obstsalat aus einer selbstgetöpferten Schale frühstückt und dabei Inforadio hört.

Es sind aber weniger die Fotos, die diese Gefühlsregungen hervorrufen – es sind die Hirne der Betrachter. Hirne, die interpretieren, dass ein auf einem Foto lachender Mensch rund um die Uhr sehr glücklich sein müsse, glücklicher als sie selbst. Eine The European-Autorin beschrieb unser Magazin vor einer Weile in einer Kolumne als „Hipstertum und Brechmittel“. Voll okay, aber auch hier bin ich versucht zu erwidern: „Ich finde das aber schön so! Diese Menschen sind schön so!“

Ich begradige alle Kanten, schaffe gleichmäßige Temperaturen, arbeite an der Stringenz des Porträts. Das empfinde ich als sehr erfüllend.

Es ist meine Ästhetik, mein Empfinden von Schönheit, mein Auge, meine penible Nachbearbeitung (ohne Retusche, schwöre). Es ist das Ergebnis von drei Stunden vor Ort, in denen ich einen Menschen beobachte. Manchmal höre ich der Konversation nicht mal zu, manchmal glotze ich nur. Ich fitzel an meinen Fotos so lange herum, bis ich selbst zufrieden bin. Ich begradige alle Kanten, schaffe gleichmäßige Temperaturen, arbeite an der Stringenz des Porträts. Diese Arbeit und die Resultate empfinde ich als sehr erfüllend. Es ist meine Sicht, meine Wahrheit, mein Perfektionismus, meine Vision.

Ab und zu steuere ich auch dagegen, indem ich eine heruntergefallene Wurst auf der Straße oder einen überquellenden Mülleimer fotografiere. Manchmal setze ich die Leute auf ein Baugerüst oder vor ein unsagbar schlechtes Friseurplakat. Wer genau beobachtet, wird erkennen, dass niemand perfekt ist und jeder für sich absolut einzigartig – Brechreiz hin oder her.

Ich benutze seit Jahren genau ein Objektiv und kann nicht mal erklären, wie es funktioniert. Es gibt natürlich gewisse formale Dinge, die ein Foto zu einem guten Foto machen. Das habe ich mir in den letzten 200 Porträts drauf geschafft. Der Rest der Kunst ist ein Gefühl. Es geht um Emotionen. Immer. Meine eigenen und die der/des Fotografierten.

Fotografiert, musiziert, töpfert, zeichnet, schwimmt, strippt genau so, wie es sich richtig anfühlt.

Leute. Fotografiert, musiziert, töpfert, zeichnet, schwimmt, strippt genau so, wie es sich richtig anfühlt. Und wenn das nächste Mal euer Lehrer/Nachbar/Schulfreund/Opa/anonymer E-Mailer anmerkt, das sei aus welchen Gründen auch immer nicht richtig, dann antwortet einfach: „In der Kunst gibt’s kein Richtig oder Falsch – und ich finde das schön so!“ BÄM!

Die Content Creation Week der Blogfabrik

Wie ihr auch so schnieke Homestorys fotografieren könnt, möchte ich euch gerne in einem Workshop beibringen:

Erstmalig veranstaltet unsere Kommandozentrale der Liebe – die Blogfabrik – die Content Creation Week in Berlin-Kreuzberg. Das ist eine Konferenzwoche voller Panels, Workshops, Diskussionen und Inspirationen rund ums Thema Content, Marketing, Distribution und Internetgedöns. Und zwar vom 11. bis 14. September 2017. Juchu!

Ich bin mit besagtem Workshop dabei, bei dem ihr in sechs knackigen Stunden lernt, Homestorys im im-gegenteil-Style zu shooten. Wir gucken uns in kleiner Runde die Funktionen unserer Kameras an, sprechen darüber, was ein Foto gut macht, gehen in eine Hipster-Bude in Kreuzberg, shooten gemeinsam als gäbe es kein Morgen und ihr dürft mir bei der Bearbeitung der Fotos über die Schulter schauen.

Am Ende könnt ihr selbst total stringente, emotionale, einfach richtig schöne Homestorys oder auch Porträts und Reportagen erstellen. Das sieht dann alles in etwa so aus.

Klingt gut? Ist gut! Hier gibt es mehr Infos und Tickets.

Ansonsten findet ihr auf dem Programm neben vielen kostenlosen Panels wie das Hate-Speech-Bingo mit Netzaktivist*innen auch andere Workshops zwischen gutem Schreiben, Illustrieren und Foodbloggen. Und natürlich eine Menge mehr – guckt ihr selbst.

Wir sehen uns auf der Content Creation Week, ihr Schönen!

JULE ist Gründerin von im gegenteil und Head of Love. Sie schreibt (hauptsächlich zu therapeutischen Zwecken über ihr eigenes Leben), fotografiert Menschen (weil die alle so schön sind) und hat sogar mal ein Buch verfasst. Mit richtigen Seiten! Bei im gegenteil kümmert sie sich hauptsächlich um Kreatives, Redaktionelles und Steuererklärungen, also alles, was hinter dem Rechner stattfindet. In ihrer Freizeit schläft sie gerne, sortiert Dinge nach Farben und/oder trägt Zebraprint. Wer kann, der kann. Inzwischen ist sie - entgegen ihrer bisherigen Erwartungen - glücklich verheiratet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.